von Christian K.L. Fischer

Es ist nicht so, dass sie sich alt fühlen, aber trotzdem: zehn Jahre seit dem Erscheinen ihres ersten Album, 15 Jahre seit sie sich als Band gegründet haben – das sind Meilensteine, die man nicht ignorieren kann. «Das macht schon etwas mit einem», stellt Joe Newman, Gitarrist und Frontmann von alt-J fest. «Ich erinnere mich noch gut daran, wie Gus und ich Thom getroffen haben. Rückblickend war es ein schicksalhafter Moment. Und als wir zusammen den ersten Song schrieben. Und als der erste Labeldeal abgeschlossen wurde …» Er ist dankbar dafür, wie alles sich zusammenfand und genau das richtige Muster entstand. «So aufregend und unerwartet.»

Obwohl sie am Anfang ihrer Karriere durchaus am Hochstapler-Syndrome gelitten haben: «Mit den positiven Reaktionen akzeptiert man irgendwann, dass man den Erfolg vielleicht doch verdient. Aber am Anfang schrieben wir Lieder, von denen wir wussten, dass sie nicht besonders gut waren. Wir nähten Teile, die wir mochten, einfach aneinander. Nach dem Motto – die beiden Dinger sind gut, als hauen wir sie zusammen. Das wir sogar dafür schon gute Reaktionen bekamen, hat uns überrascht. Wir warteten jedem Moment darauf, dass jemand sagt: Moment mal – die Typen können gar keine Songs schreiben!»

Diese Zweifel sind Vergangenheit und auf gewisse Weise hört man das dem neuen, vierten Album «The Dream» auch an, denn da ist eine Leichtigkeit, ja, fast eine Selbstverständlichkeit zu hören. Weniger verkopft, mehr ein go-with-the-flow. Auch die Texte sind weniger meta. Das erste Mal kommen sie aus dem Leben und beziehen sich nicht nur auf andere Popkultur oder Literatur, was damals daran gelegen hat, dass Joe schon immer ein friedliches und sicheres Leben führte. Der Songwriter als leidender Künstler war nie eine Rolle, in der er sich sah. «Ich hatte das Glück, ohne Ballast zu sein. Aber ich hatte auch immer das Gefühl, dass ich nichts zu sagen habe, weil ich keinen Grund hatte, traurig zu sein. Es gab nichts, über das ich mich beschweren musste.»

Er begann also eher zu katalogisieren was ihn zum Nachdenken brachte. Er sprach über die Dinge, die ihm etwas bedeuteten. Er wurde ein Kurator, weniger ein Autor. Doch «für dieses Album begann ich das Fiktive mit Ereignissen aus dem echten Leben zu verbinden. Das empfand ich als sehr kraftvoll. Zum Beispiel ,Get Better‘ – das Lied ist zu einem Grad detailliert, dass man denken könnte, es wäre autobiografisch. Was es nicht ist, aber ich wollte, dass man es glaubt.»

Und da wäre „Hard Drive Gold“, eine Geschichte von einem Jungen, der mit Krypotwährungen reich werden will. Was natürlich die Frage aufwirft, ob sie selbst schon mal versuchte haben, dort Geld zu machen. Joe lacht. «Da kommen auch wieder viele Einflüsse zusammen, aber ja, auf eine Art. Unser Schlagzeuger hat damals bei GameStop investiert, als die grossen Mächte gerade versucht haben, die Aktie zu shorten – woraufhin Menschen auf Reddit begannen, zu kaufen und so den Profimanipulatoren einen grossen Verlust bereiteten. Thom gehörte zu denen, die dafür verantwortlich waren und er machte dabei noch eine Menge Geld. Das fand ich faszinierend.»

Dann gab es noch die mittlerweile bekannte Geschichte von dem Mann, dessen Frau seine Festplatten wegwarf – inkl. einer mit Bitcoins. Die noch heute auf irgendeiner Müllkippe liegt, mit einem unerreichbaren, unfassbaren digitalen Vermögen. «All das ist da drin – unser aller Traum vom reich werden, den man schon in der Schule träumt.» Die Zweifel am eigene Erfolg sind also weg, aber das Staunen bleibt. Alt-J sind immer noch die erstaunlichste Erfolgsgeschichte im Rock der letzten zehn Jahre, weil nie etwas an ihnen und ihrer Musik nach grosser Reichweite schrie. Wahrscheinlich darf man sich als ihr Fan wirklich als etwas Besseres fühlen.