von Nadine Wenzlick 

Vor nicht allzu langer Zeit hat Andrew Davie, Sänger der britischen Indie- und Folk-Band Bear’s Den, Urlaub im marokkanischen Essaouira gemacht. Das Hotel, in dem er wohnte, hiess Heure Bleure Palais, was übersetzt so viel wie „Palast der blauen Stunde“ heisst. „Das ist so ein cooler Name“, sagt Davie. „Ich schrieb zu der Zeit viel in meinem Heimstudio, und zwar immer spät nachts. Irgendwann dachte ich: die ‚blaue Stunde‘ könnte der Name des Ortes sein, an den ich mich begebe, wenn ich Songs schreibe. Dieser isolierte Gedankenraum, in den ich abtauche. Und dann brach plötzlich die Welt zusammen und jeder von uns tauchte in seine isolierte Welt, seine ‚blaue Stunde‘ ab. Ich flüchtete förmlich dorthin – denn es war ja das einzige, was offen war…“ Heraus kam dabei „Blue Hours“, das vierte Album von Bear’s Den.

Kurzer Rückblick: Acht Jahre ist es her, dass die aus Sänger und Gitarrist Andrew Davie und Multiinstrumentalist Kevin Jones bestehende Band ihr Debüt „Islands“ veröffentlicht hat. Mittlerweile blicken Bear’s Den auf eine halbe Million verkaufte Alben, 500 Millionen Streams und eine Nominierung für den begehrten Ivor Novello Award zurück. Und während die Clubs, in denen sie spielten, mit der Zeit immer grösser wurden, entwickelte sich auch ihr Sound weiter: Ihren anfangs von akustische Gitarren und Mandoline geprägten, wunderbar melancholischen Indie-Folk ergänzten sie vermehrt um Bläser, Klavier, Streicher, elektrische Gitarren und sogar Synthesizer. Auf „Blue Hours“ allerdings klingt die Band nun so hoffnungsvoll und beschwingt wie nie zuvor – was in Anbetracht der Tatsache, dass es in einer Zeit entstand, in der die Welt Kopf stand, dann doch ein wenig überrascht. „Ich dachte: Wenn wir zurückkommen und endlich wieder Shows spielen können, dann soll es sich kathartisch anfühlen“, erklärt Davie. „Wir haben alle eine ätzende Zeit hinter uns, aber ich wollte nicht, dass dieses Album zu schwer wirkt und ein Downer ist.“

Zumal die Texte – wie immer bei Bear’s Den – schon genug Schwere haben. Davie nimmt die Hörer auf „Blue Hours“ mit in sein ganz persönliches blaues Hotel. „Jeder Song ist wie ein kleiner Raum, den man betritt“, sagt er. Da ist zum Beispiel „Spiders“, das von seinem Umzug von London in eine kleine Stadt in den Cotswolds inspiriert ist. „Ich dachte, der Umzug würde viele Probleme lösen, dass alles besser wird – aber das war nicht der Fall. All die Dinge, die vorher in meinem Kopf herumschwirrten, waren nach dem Umzug immer noch da. Der Song handelt davon, dass man vor den Dingen, die einen plagen, nicht weglaufen kann.“ In „Shadows“ derweil geht es um Depressionen eines Freundes – und das Versprechen: „I’ll be there in time“. Und in „Selective Memories“ verarbeitet Davie sowohl die Ängste und Sorgen, die ihn als werdenden Vater beschäftigten, als auch die Demenz seiner Mutter. „Vor vier Jahren war sie starke Alkoholikerin und musste deshalb ins Krankenhaus. Als sie aus ihrem Delirium zurückkam, konnte sie sich nicht an die letzten Jahre ihres Lebens erinnern“, erzählt Davie. „Für mich als Sohn war das eine schwierige Zeit. Aber jetzt trinkt sie nicht mehr, raucht nicht mehr – und erinnert sich nicht. Mit dem Song versuche ich zu sagen: Das ist eine gute Sache, lass los. Egal wie scheisse es war – wenn sie sich nicht mal dran erinnert, warum sollte ich daran festhalten?“

So wie in „Selective Memories“ scheint auch in vielen anderen Songs am Ende die Hoffnung durch – vor allem in „Gratitude“. Der Song ist inspiriert von dem Buch „Catalogue of Unabashed Gratitude“, das Davie letztes Jahr gelesen hat. „Es ist im Grunde eine Sammlung an Gedichten. Der Autor schreibt darin über schwierige Momente in seinem Leben und Menschen, die er verloren hat – aber er umschreibt all das, indem er Dankbarkeit dafür ausdrückt“, so Davie. „Da wurde mir klar: Meine gemischten Gefühle über meine Familie, die Nervosität, die ich empfand, bevor ich Vater wurde – all das rührt doch daher, dass mir diese Dinge und Menschen so viel bedeuten. Also vielleicht ist das der bessere Weg, das Leben zu betrachten: mit einer großen Portion Dankbarkeit.“

Am 5. Mai spielen Bear’s Den im Kaufleuten in Zürich. „Blue Hours“ erscheint am 13. Mai.