von Sascha Gala Mikic

Wer uns in ein alternatives Berlin der 2000er katapultiert: Steiner und Madlaina – «Risiko»

Was diesen beiden Frauen immer wieder gelingt, ist uns Zuhörer:innen in sehr persönliche Angelegenheiten mit einzubeziehen. Doch diese müssen nicht unbedingt awkward sein – im Gegenteil: Eingespielt wurde das gesamte Album in neun Tagen, welche gemäss dem Duo zu den besten Tagen ihrer Zeit als Band zählen. Natürlich hört man das auch raus: Die Songs sind nicht traurig, sondern süss und sauer, reif und verspielt, multiinstrumental und durch keck gewählte Worte sehr mitfühlsam. Fast möchte man sagen, dass sich 2raumwohnung und Jacques Palminger eine Scheibe von Steiner & Madlaina abschneiden sollen, hihi!

Wer uns realisieren lässt, dass wir alt werden: Elio Ricca – «CFH»

Wir sind uns sicher, dass mindestens in jedem zweiten Artikel, der von uns erscheint, irgendein Millennial oder Xennial aus der Redaktion die Zeile: „Erinnert mich an die Indie-Zeiten von damals“ dazwischen quetscht, danach seufzend den Blick in die Ferne richtet und an ebendiese Zeiten denkt. Somit: Elio Riccas Single erinnert uns an die Indie-Zeiten von damals – aber die tanzbaren Jahre! Also schnappt euch die engsten Röhrenjeans aus dem Schrank und tanzt zu verzerrten Gitarren, Disco-Drumbeats und frechen Harmonien!

Wer sich sozusagen unters Skalpell legt: HVCK FYNN – „Don’t Forget“

Da wir mittlerweile Frühling haben, kann man nicht mehr mit dem Motto „New Year, New Me“ prahlen. Aber dafür mit „New Name, New Music“. Die Lozärner Band Huck Finn haben sich an eine schnieke Auffrischung gewagt und heissen nun HVCK FYNN. Und im Sinne dieses Mottos kommt ein Track, der den Übergang vom Alten ins Neue markiert, denn Martin Fischer ist zum letzten Mal an der Gitarre mit dabei. Die unverkennbaren Melodien bleiben jedoch weiterhin hervorragend produziert, sodass wir uns alle an den Händen fassen und aufatmen können: Pop-Rock CAN save the world!

Wer mit neuen Pinseln und Farben malt: IKAN HYU – “× POW ! ד

„Unerschrocken! Explosiv! Kompromisslos!“ Mit diesen Adjektiven wird die erste Single des bald erscheinenden Debütalbums beworben – und wir stimmen überein. Mit Zeilen wie “This picture of a woman ain’t a woman like me // Who put her in my head?” untermalt das Duo IKAN HYU seinen Standpunkt zu stereotypischen Ewartungen an Frauen und den Standards, denen sie unterliegen. Die Aufregung wird in einem Rock-Stil verarbeitet, der GIRLIE’s am nähesten kommt und somit verspricht, euch vor lauter Mittanzen und Mitschreien nicht aus-, sondern zu empowern.

Wer sich loslöst und davon schwebt: Alex Nauva – “Fever Part I”

Es fällt einem schwer, Alex Nauva einzuordnen – und genau das macht seinen Sound einzigartig. Irgendwo zwischen Beck und brockenhaften Spuren von Moby, der sich an 2000er US-Pop-Punk versucht, reitet man auf langsamen und in die Länge gezogenen psychedelischen Wellen in Richtung orangefarbener Träume und Freiheiten. Das Thema Freiheit spiegelt sich auch im Text des Ostschweizer Electronica-Künstlers wieder:Eer stiftet dazu auf, sich der Herausforderung zu stellen, eine manipulative Beziehung hinter sich zu lassen und neue Veränderungen zu begrüssen. Wir winken dieser Loslösung zu und grüssen zurück!

Wem Jeff Bezos nicht das Wasser reichen kann: CØLDSTAR – „Coming Home“

Und wieder brodelt es in der Berner Musik-Küche – diesmal ist die Mahlzeit mit dunklem Electro-Pop gewürzt. Wer ein Fan von «Stranger Things» ist, wird diese köstlich schwere EP verschlingen. Wieso schwer? Weil das Duo hinter CØLDSTAR sechs Synthie-Post-Punk-Tracks veröffentlicht, die auf eine Art die Gefühl festhalten, als wäre man der Weite und Ungewissheit des Weltraums ausgeliefert. Aber Angst hätte man dabei keine! Die Songs sind nämlich Reisekapseln, die uns gen Sonne transportieren. Und diese haben wir bitter nötig nach diesem schlappen Frühling.

Wer eine Falle schafft, in der wir sehr gemütlich sitzen bleiben: Chauffeur et Parlak – „Prendi Un Caffè?“

Wir wissen, dass es die James-Bond-Filme seit den 60ern gibt, doch dieser Track von Chauffeur et Parlak könnte ein viel verführerischere Titelsong dieser Reihe aus ebendieser Zeit sein. Mit einer dahinschmelzenden Melodie, einer Prise orientalischer Klänge und fast schon gefährlich sexy Gitarrenriffs stellen wir uns als Superspione vor, die dem Bösewicht zuzwinkernd mitteilen: „Du sitzt in meiner Falle.“

Wer uns in den Garten Eden führt: Pablo Nouvelle & Nativ – „Paradis“

Der Name ist das musikalische Programm: Mit farbigem Sound kreieren Pablo Nouvelle und Nativ eine neue Dimension, die sich von der geradlinigen Zeitachse löst und eine Fusion aus retro und futuristischen Elementen darstellt. Und im Zentrum dabei sind Emotionen und Liebe – fast so wie im Film «Interstellar», wenn Matthew McConaughey, von Liebe geleitet, sich im 5D-Raum (oder waren es sogar 6D? Crazy!) zurechtfinden muss. Aber keine Sorge, auch wenn Natives Lyrics manchmal ebenso dunkel sind wie Matthews fünfte Dimension, so bleiben sie es nie lange.

Wer einfach mal zur Ruhe kommen will: Kaufmann – „Egal Wohi“

Was ist noch beliebter als der Graubündner Dialekt? Genau: Graubündner Gesang! Auch Kaufmann will wie die bisher vorgestellten Künstler irgendwohin – wo genau, weiss er nicht, aber Hauptsache weg in einer Welt Unterschlupf finden, in der man Ruhe hat und angekommen ist. Sehr passend zu dem Thema ist auch Kaufmanns Musikstil: 90er Alternative-Rock! Denn wie sonst kann man die Wehmut dieses Verlangens nach „egal wohi“ am besten zum Ausdruck bringen? Ebe.

Wer den Ernst des Lebens zumutbar macht: DANA – „Ex-Extrovert“

In ihrer Musik sind die Texte ausschlaggebend. Verbunden mit einer Dringlichkeit ans Tageslicht zu gelangen, werden Themen wie fehlende Vaterfiguren, Traumata und Bindungsängste unter die Luppe genommen. Keine halben Sachen also. Doch das heisst nicht, dass die Melodie des Lieds genau so schwer ist. Melancholisch, ja, aber häppchenweise werden wir den Ernst des Lebens in Form von Indie-Pop gefüttert, sodass auch wir einsehen müssen: Wir sind alle DANA.