von Sascha Gala Mikic

Wer die Zeit für uns stillhält: Enola Reverof – Bury

Es heisst, die junge Generation sei Beziehungsunfähig und ungeduldig. Das Tempo jeglicher Weltgeschehen und Informationswiedergaben steigt ungemein und dringt somit in persönliche Sphären ein – zum Beispiel bei der Parter:innesuche. Doch Enola Reverof, eine fiktive Personifizierung eines «safe space», setzt sich mit diesem Thema auseinander und vereint Herz, Verstand und Umwelt in einer emotionalen Traumwelt aus Indierock und Shoegaze. Die Debütsingle zeigt uns somit, dass wir unter diesem Tempo und Überfluss an Beziehungs(un)möglichkeiten nicht begraben werden müssen und dass wir nicht alle so allein sind, wie wir es zu meinen glauben.

Wer uns bittersüsse Erinnerungen schenkt: Capital Youth – Seventeen

So, die unter euch, die immer noch fleissig Indierock-Partys besuchen, müssen jetzt ganz stark sein: die Single hat sich nämlich eine fette Scheibe der Londoner Musikszene von anno dazumal abgeschnitten. Denn wir alle waren plus minus siebzehn, als die Indierock- Szene unser ganzes Dasein übermannte. Somit wird euch dieser Song von Capital Youth aus Genf wie eine melancholische Zeitreise zu verflossenen Jugendlieben und dem ersten richtigen Herzschmerz vorkommen. Anschnallen und los geht’s!

Wer uns raus in die Natur schickt: Sara Oswald – Bivouac

Nach Kollaborationen mit Schweizer Musikgrössen wie Sophie Hunger oder The Young Gods hat Sara Oswald nun ein Debütalbum veröffentlicht. Im Zentrum aller Kompositionen steht das Cello, welches manchmal mit seinem Freund, dem Piano, eine dramatische Musikkulisse für die Hörer:innen aufbaut. In Saras Liedern fühlt man sich einer herbstlichen oder gar winterlichen Landschaft ausgesetzt, aber nicht hoffnungslos. Es ist der perfekte Soundtrack für eure letzten alpinen Wanderungen, bietet aber auch genug Material für das perfekte Kopfkino vor dem Schlafengehen.

Wer uns ganz viel Kraft in den Beinen verleiht: Ava Max – Million Dollar Baby

Kennt ihr noch den gleichnamigen Film von Clint Eastwood? Darin wird Hilary Swank, die schwierige Zeiten durchmacht, als Boxtalent entdeckt und kämpft (pun intended) sich hoch – im Leben wie auch in ihrer Karriere als Boxerin. Und Ava Max zieht einen Vergleich zu ihrem eigenen Leben: auch sie musste eine schwierige Phase durchmachen und zu alter Stärke zurückfinden, um ihren Selbstwert zu erkennen und im Leben wieder Fuss zu fassen. Die Pop-Single ist ein Mix aus 80er Elementen und tanzbaren Eurovision-Songs und motiviert somit, das Tanzbein zu schwingen und allen Problemen in die Eier zu treten.

Wer das Leben entweder halb oder ganz ernst nimmt: Andy F – Pranger

Der Musiker aus Zürich setzt sich mit vielen aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander. Obwohl seine Texte fast schon satirisch und zumindest ganz bestimmt bissig sind, stellt er Situationen an den, nun ja, Pranger: zum Beispiel, dass wir uns alle auf sozialen Medien ein Urteil über andere anmassen. Oder wie mit der Pandemie umgegangen wurde und immer noch wird. Oder wie energieaussaugend Warteschleifen am Telefon sind. Dabei ist sein musikalischer Stil genauso vielfältig wie seine Texte, denn man findet sich in orchestralen Wellen sowie Punk-Kellern wieder – also ist für jeden was dabei!

Wer der Dystopie eine Anziehungskraft verleiht: The Young Gods – Play Terry Riley In C

Ein experimentelles Album ist es allemal, doch nichts anderes erwarten wir von den Young Gods. Es ist ein Treffen zweier Grössen, die seit den 80ern ihre Interpretation und Möglichkeiten des Rocks zu entziffern versuchen. In dem Sinne ist das neue Album sehr minimalistisch, fast schon Techno, fast schon dystopisch – und nicht nur fast schon, sondern ganz bestimmt passend zum Einbruch der bevorstehenden grauen Monate.

Wer uns zu neuen Ufern treiben lässt: Naomi Lareine – Fall In

Selten bekommt man einen Song zu hören, der praktisch nur aus Beats besteht. Und diese Future Beats reissen dich sofort mit und beweisen somit, dass die Zürcherin sich erneut und zu Recht den Titel als Schweizer Queen of R’n’B holt. Und sie packt in den Song auch etwas rein, was man in diesem Stil selten antrifft: anmutige Harmonien. Die Arrangements, inspiriert durch südafrikanischen Amapiano, fliessen so leicht wie ein Fluss ins Meer ineinander rein. Naomi, wir lassen uns gerne von dir zu neuen Ufern treiben.

Wer vor Annie existierte: I Used To Be Sam –  Used To Be Sam

Die Wahlbaslerin war vor kurzem noch als Annie Goodchild in der Musikbranche bekannt. Doch der Namenswechsel und gleichnamige Titel ihrer erste EP zeigt, dass der Mensch hinter diesem Wandel diverse Geschichten über die eigene Person verarbeitet hat. Zum Beispiel, die eigene Adoption, Queer-Identity und Zugehörigkeit. Mit einer Stimme, die unter die Haut fährt, und einer Hartnäckigkeit, die paradoxerweise auch sanftmütig ist, erleben wir ihre Erfahrung mit ihr mit.

Wer weiten und breiten Sound macht: Clark  S – Back Of My Head

Clark wird von seinem Label als Geheimtipp bezeichnet, weil er es schafft, seine Produktion sehr „international“ klingen zu lassen. Und da stimmen wir zu: sein Pop kombiniert die abenteuerlichen Rhythmen von Bastille mit den einschneidenden und dramatischen Arrangements von Imagine Dragons. Am besten geniesst man die EP in einer Umgebung, in der das Auge das Weite sucht und finden will, denn: die Melodien verleihen einem etwas Lebendiges.

Wessen Greatest Show on Earth die Welt erobert: Kings Elliot – Bored of the Circus

Vor knapp zwei Jahren veröffentlichte Kings ihre erste Single und liess damit gleich international aufhorchen. Auch wir waren very impressed – aber dass die Schwyzerin so schnell einen so steilen Aufstieg hinlegt? Hinreissend! Nach einer US-Tour im Vorprogramm von Imagine Dragons veröffentlicht die Sad-Pop-Sängerin mit Hauptsitz London ihre neue EP und unterstreicht dabei erneut ein Ausnahmetalent und Einfühlungsvermögen in die komplizierte Innenwelt ihrer Generation.

Wer Cowboy und Goldjunge sein kann: Sam Himself – Golden Days

Einige Leute nennen ihn einen Weltraumcowboy. Einige Leute nennen ihn einen Gangster der Liebe. Und wahrscheinlich haben sie alle recht. Erst recht, wenn man Sam Himself in seinem hinreissenden Abendgala-Western-Musikvideo zu «Golden Days» bestaunt. Der Basler ist zu seiner angestammten Kreativstätte in Brooklyn zurückgekehrt und hat dort zum ersten Mal seit der Pandemie live mit Band einen neuen Song eingespielt. Sams tiefenentspannter Indie Pop schwelgt so majestätisch wie er verschmitzt mit dem Auge zwinkert.

Wer eine bewegte Vergangenheit in grossen Pop giesst: Dana Future Daughters

Die indische Ausgabe vom Rolling Stone Magazin prophezeite der Bielerin in einem Artikel eine grosse Zukunft. Und wir nehmen doch sehr an, auch im Rest der Welt wird dieser Stein jetzt ins Rollen kommen. Mit «Future Daughters» veröffentlicht Dana ihr bombastisches Debütalbum, nachdem sie hierzulande mit dem Titelsong zum Film «Platzspitzbaby» bereits ein grösseres Publikum aufhorchen liess. In ihren intimen Texten blickt Dana auf ein bereits sehr aufwühlendes Leben und schöpft gleichzeitig Kraft für eine hoffentlich glänzende Zukunft.