von Sascha Gala Mikic

Wessen dunklen Zauber wir nicht entkommen: Barany – „Wheel“

Kannst du dich noch an Madonnas Song „Frozen“ erinnern und wie herrlich düster es war? Na, dann wirst du sehr grossen Gefallen an dieser Schweizerischen „Thom Björke“ finden. See it as a frühzeitiges Weihnachtsgeschenk von uns an euch! Baranys Sound ist infektiös, mysteriös und…voluminös (die Autorin kennt nicht genug Adjektive, die auf „-ös“ enden). Auf jeden Fall versetzen uns die sich durchwebenden Trip-Hop-Beats in Ekstase und wollen uns raus in den Schnee und in die frühe Nacht schicken. Passt so, denn wir sparen Heizungskosten.

Wen Wednesday Addams insgeheim hört: Sam Himself – „Mr. Rocknroll”

Wir befinden uns in der Jahreszeit, in der „dark boys“ wieder ins (spärliche) Tageslicht treten. Mit Gitarren- und Synthie-Hooks fühlt Sam dem Rock’n’Roll Genre auf den Zahn. Dabei experimentiert er eigentlich öfters mit der Melancholie und Dramatik, die normalerweise für Post Punk reserviert ist, und zwar jenes aus den 80ern („beschte Post-Punk wos je hetts gits“). Dank seines erfahrenen Produzenten Daniel Schlett (Iggy Pop, The War on Drugs), wird dem Musiker eine (im Dunkeln) glänzende Zukunft zu verdanken sein. Wir warten gespannt aufs kommende Album.

Wer uns in die Flucht schlägt: Fraine – „The Art of Escapism”

Ja, nach Eskapismus hören sich die Tracks auch an. Man stelle sich vor, man befände sich in einer grauen, verschollenen Landschaft, aus der man ausbrechen will. Islands schwarze, weite Landschaften kommen einen in den Sinn. Aber leider gibts am Horizont keine neue Welt, in die man entkommen kann. Man könnte das Album der St. Galler fast schon einem 00er-Jahre dystopischen Rockgenre einordnen – aber vielleicht liegt ja genau darin das Paradoxon: die Musik ist das utopische Refugium für die unter euch, die Realitätsflucht gebrauchen können.

Wer Ennio Morricone glücklich machen würde: Dear Misses – „Life and Death of Frankie Trombone”

Spaghetti-Western- und Hörbuch-Liebhaber aufgepasst, denn der Bandit Frankie Trombone treibt im Wilden Westen sein Unwesen und die Muotathaler Country-Folk-Bluesadelic-Band erzählt euch Geschichten über ihn – ein ganzes Album lang. Da wir in unseren Texten aber leider nur eine gewisse Anzahl an Bindestrichen pro Monat verwenden dürfen und der vorherige Satz zur Erklärung des Albums bereits die Hälfte davon verbraucht hat, müsst ihr euer Pferd allein satteln und ein musikalisches Kopfkino in der Wüste inszeniere. Aber wir garantieren euch: Es lohnt sich.

Wer uns wie Butter dahinschmelzen lässt: Caroline Alves – „Ghost“

Eine Stimme aus Samt, so klingt Carolines. Und der Track hört sich so an, wie sich das Eintauchen in einen Fluss aus warmem Honig oder Karamell anfühlen würde (ist bloss eine Annahme, wir haben das noch nie getestet). Der Grund? Weil Neo-Soul und langsame Hip-Hop-Beats immer eine köstliche und leidenschaftliche Verbindung zustande bringen und der Synthie, der hie und da auftaucht, dem ganzen einen Funken Glanz verleiht. Perfekt für einen Tag in den Bergen vorm Kamin.

Wer uns die Sonne vom Himmel holt: WE ARE AVA – „B-Side”

Okay, okay, vielleicht waren die bisherigen Vorschläge ZU dark and stormy für euch. Wir wollen ja schliesslich nicht eure Winterdepression ankurbeln. Keine Angst, wir haben das perfekte Gegenmittel: die neue EP dieses Ostschweizer Trios. Mit Freudensprüngen, wackelnden Ohren und dem guten, alten Indie, der das Blut in unseren noch so kleinen Adern jederzeit wieder zum fliessen bringt, könnt ihr euch gegen schlechte Laune wappnen. Schliesslich ist ein Ticket nach Australien doch ein bitzeli zu teuer.

Wer amerikanische Geschmeidigkeit zu uns bringt: Liam Maye – „Bad Entertainment”

Mit einer Stimme, die uns Süssholz ins Ohr raspeln dürfte und wir uns niemals daran stören würden, erobert der in Chicago geborene und in Thun wohnhafte Liam Maye die R’n’B-Szene und mischt sie neu auf. Atmosphärische Synthies treffen auf schwere Beats und kulminieren zu einem akustischen Dessert der Extraklasse. Woher wir das wissen? Weil die Single am ehesten einer Session zwischen Frank Ocean, Tyler, The Creator und Jean Dawson nahekommt.

Wer echt real ist: ZID – „Meer“

Was in unserer Liste natürlich nicht fehlen darf, ist ein bisschen Mundart. Und ein bisschen Verletzlichkeit, die sich auf Mundart einfach tastbarer anhört als auf Englisch. Zweifel, Ängste und der Rest dieser Seite der Emotionspallette wird von ZIDs entwaffnenden Texten komplett entblösst. Es ist eine sehr persönliche Pop-Ballade und lädt dazu ein, sich selbst Raum zum Sein freizugeben.

Wessen Fleiss sich auszahlt: Lo & Leduc – „Luft“

Selten geschiehts, dass Musiker gleich zwei Alben pro Jahr veröffentlichen (abgesehen von King Gizzard, aber die sind sowieso ein Fall für sich). Doch Lo & Leduc haben dieses Jahr kaum Konzerte gegeben und sich stattdessen ins Studio verschanzt. Etwas ungewohnt wird man mit Trompete und Piano im ersten Track zum Album begrüsst, aber dann gehen die Jungs mit ihren gängigen Beats und Versen zur Sache. Es ist ein vielseitiges und ambitiöses Projekt, welches sie auf die Beine gestellt haben.

Mit wessen Papa wir gerne reisen würden: Blind Boy De Vita – „Pampasciune”

Der Track erzählt die Geschichte von De Vitas Vater, der in den 70er die Welt bereiste – zuvor hat das in der Familie noch nie jemand gewagt. Somit erzählt das Beispiel von De Vitas Vater davon, wie Träume Realität werden können. Dabei ist die Musik, die diese Geschichte begleitet, wirklich grossartig und einzigartig. Man kann die Melodie nirgends einordnen: Ist es Blues? Ist es Folk? Ist da was Südasiatisches rauszuhören? Keine Ahnung! Wer es rausfindet, darf uns gerne davon erzählen.

Wer uns das Tanzen auf dem Indie-Dancefloor lehrt: The Oskars – „The Oskars”

And the Oskars go to…jeden, der sich von diesem treibenden Indie Rock auf die Tanzfläche treiben lässt. Und die kann sich auch auf dem Asphalt der Bushaltestelle befinden. Oder an der Bananenwaage in der Migros. Die St. Galler haben eine exzellente Handvoll Tracks auf ihrer gleichnamigen EP versammelt, die nicht nur in die Beine sondern auch ins Herz gehen. Geschuldet ist dies insbesondere der eindringlichen Stimme von Sänger Kevin Bühler. «»You can dance», singt er im gleichnamigen Song. «Damn, you can play!», rufen wir The Oskars zurück.

Wer in uns einen Wasserfall an Emotionen auslöst: Waters Blend – déjame cambiarme

Bereits im August waren wir hingerissen von der Single «Shell» des Aargauer Künstlers. Jetzt reicht Waters Blend aka Djamal Moumène eine EP nach, die den Flow dieses zärtlichen Slow-Tempo-Tracks wunderbar fortführt. Verträumt, verspielt, verflixt gut sind diese Kompositionen. Bedroom-Pop, der die ganze Nacht lang wachhält mit spannenden Synthie-Experimenten, Field Recordings, Gitarrenmelodien und Gesangsharmonien. Mag sich noch jemand an die Bossa-Nova-Trip-Hop-Sensation Smoke City erinnern? Waters Blend klingt wie der Fluss, der durch ihre Stadt führt.

Wer in den 90s unsere Kellerparty gerockt hätte (und es immer noch tut): Enola Reverof – In

Shoegaze und Dreampop spielen Ping-Pong und «In» von Enola Reverof ist der Ball, der dabei übers Netz springt. In Verbindung mit dem im Camcorder Style aufgenommenen Musikvideo mutet der Song an wie etwas, das man vor drei Jahrzehnten während dem Mitternachtszapping auf MTV gefunden und für immer ins Herz geschlossen hat. Zu solcher Musik will man entweder die Welt umarmen oder ins Kissen weinen. So oder so: Man fühlt sich danach garantiert besser.