von Sascha Gala Mikic
Wer Poesie und Genres meisterlich verstrickt: Elvett – Continuum
Das Continuum kontinuiert durch diverses Genre. Okay, das war sehr «gut gedutscht», lasst es uns erklären: Was zunächst klingt, als hätten Massive Attack und Shara Nelson einen neuen Hit produziert, wandelt sich schnell um in eine sinnliche R’n’B und Blues Ballade, nur um dann gegen Ende Elemente von Tame Imapala oder Alt-J aufzufangen. Elvett gelingt ein wirklich origineller Song, der uns in kleine Ekstasen versetzt. Dabei wird der Kreislauf des immerwährenden Lebens thematisiert: unsere Ahnen sind wir und wir sind unsere Kinder. Poesie für die Ohren, durch und durch.
Wer keine Vergleiche nötig hat: Daens – Betterman
Wie oft vergleichst du dich mit anderen Models, Influencern, Freunden, Liebhabern, Alles-Habern? Dabei weisst du genauso wie wir, dass das richtig giftig ist fürs eigene Gemüt – vor allem wenn man verliebt ist. Die junge vierköpfige Band lädt dich somit ein, all diese Vergleiche für drei Minuten aus dir heraus zu schütteln. Das fällt einem dann auch ganz einfach: die unverwechselbare Stimme des Leadsängers Daniel Beltrametti webt federleichten 70er Disco und sich durchschleichenden Synthesizer zu einem gelungenen Teppich aus bunten Klängen.
Wer uns in seiner Familie ankommen lässt: Blind Boy De Vita – Ship Docking
Auch bei Blind Boy De Vita werden ernste Themen unter die Lupe genommen. In den vier Stücken werden wir Teil seiner Familie, versuchen unseren Willen zu messen oder ein Stück weit Bipolarität zu verstehen. Jedes dieser Themen wird auf der neuen EP in einem anderen Musikstil erzählt, mal im Blues-Format und mal mit afrikanischen Einflüssen. Was aber dennoch alle Themen verbindet, ist ein Gefühl der Ankunft – wie es auch der Name «Ship Docking» verrät.
Wer uns an ihrem Schmerz teilhaben lässt: Odd Beholder – Hurt
Daniela Weinmann, wie die Person hinter Odd Beholder heisst, vollzieht in dieser neuen Single eine Gratwanderung entlang der mentalen Gesundheit. Sie selbst sagt, dass sie während des Songschreibens daran denken musste, dass sich manche Menschen so sehr mit dem Klimawandel beschäftigen, dass sie Burn-outs erleiden. Mit ernsten Melodien und einem stechenden Gitarrensound verpackt sie gekonnt dieses Sentiment und warnt sachte: spürt die Welt, aber lasst euch nicht von dieser Lethargie einnehmen.
Wer Pop entpoppt: Blind Butcher – Synchronized Acrobatics
Frech und witzig hört sich dieser Cocktail an energetischen Soundfetzen an. Man könnte es Pop nennen, der nicht Pop sein will. Es wirkt fast wie ein musikalisches Statement-Piece, weil es so gewagt rüberkommt. Immer wenn man denkt, es hapere an der Tonlage oder die Stimmen harmonisieren nicht so kongruent, wie man es möchte, wird man eines Besseren belehrt. Das gefällt! Wir freuen uns auf noch mehr Quirrliges der beiden Lozärner.
Wer Rock’n’Roll durch tiny Homevideos pumpt: Dino Brandão – I Don’t Want Nothing
Das Video zur Single ist raus! Es erinnert an zwei Sachen: Tiny Desk Konzerte von NPR Music und dem schwarz-weissen Homevideo einer jungen Band, die in den 90ern in der Garage ihrer Eltern ihrem Freigeist und ihrer Coolness Luft gibt. Vor einem Bücherregal spielen Dino und seine Kumpel auf kleinstem Raum vintage und alternative Rock mit einem Schuss guten alten Rock’n’Rolls. Teil dieser Energie kann man werden, denn die Jungs spielen sich diesen Sommer durch die ganze Schweiz von Montreux bis Zürich.
Wer uns fast vom Sattel haut: Johnny Nabu – Hallo Velo
Einmal pro Monat schlängelt sich eine Horde Menschen auf ihren Drahteseln durch Zürichs Betondschungel und macht darauf aufmerksam, dass die Stadt mehr Velowege braucht. Dabei wird gerattert, geklingelt, gequietscht, geächzt und gegrinst, um der Bewegung mehr…Bewegung zu geben (ja, sehr flacher Flachwitz)! Doch wie viele Bewegungen davor, hat diese eine Hymne, produziert von Merlin Obexer und Jonas Jost aka Johnny Nabu. Ein Mix aus Rap, warmem Pop und einem knackigen Refrain feuern dich an und heben die Laune, sobald mal steil aufwärts in die Pedale getreten werden muss.
Mit wem wir den Tag entspannt ausklingen lassen: Silver Birch – Still The Same
Vor etwas mehr als einem Jahr durften wir einen ersten zaghaften Einblick in die musikalische Wärme von Silver Birch erhaschen. Nun ist er wieder zurück mit einer chamber-pop Single und entspannten Gitarrenriffs, die aber auch etwas leicht Bedrohliches an sich haben. Der Song lässt sich zum Beispiel hervorragend am Ende eines langen Tages anhören, denn in seinem Songtext führt uns Silver vor Augen, dass man allen Übel des Tages trotzen und versuchen soll, gut zu sein.
Wem wir ein Blumenkrönchen winden wollen: Jakub Ondra – Fortress
Im Internet kursiert ein Meme, welches das Folk-Rock-Revival im Jahr 2010 als die «Stomp-Clap-Hey!»-Zeit bezeichnet. Klar, so realitätsfern ist diese Feststellung nicht, aber es wäre auch gelogen, gäben wir nicht zu, dieser Zeit etwas nachzutrauern (Blueme-Chrönli ufem Chopf, wüsseter no?). Keine Sorge, Jakub erweist sich als deus ex machina: mit der Gitarre in der einen Hand und zum Mitsingen einladende Melodien in der anderen, nimmt uns der globetrotting singer-songwriter mit auf seine Abenteuer in der ganzen Welt.
Wer unsere Wut im Bauch vertont: Giulia Dabalà – War Drums
Das Album herzten wir vergangenen Monat, aus aktuellem Anlass aber erneut: Frauen weltweit haben genug Gründe, hässig zu sein. Sei es auf die Politik, diverse Institutionen oder die Gesellschaft. Deswegen ist Giulias neue Single von ihrem letzten Album «Gold» auch eine mystische Kampfansage. Dabei wird diese Mystik durch eine Prise Hexerei, fünf Atemzügen in der Natur und einem eindringlichen und unvergesslichen Frauenchor heraufbeschworen. Wir werden auf jeden Fall «War Drums» beim nächsten Frauenmarsch skandieren!