von Katja Schwemmers

Mit „The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows“ veröffentlicht Damon Albarn (53) ein neues Soloalbum, das er zusammen mit Orchestermusikern eingespielt hat. Darauf verarbeitet der Blur- und Gorillaz-Frontmann seine Eindrücke von Island, wo er einen Zweitwohnsitz hat. Darauf zu hören sind ätherischen Balladen und auch mal jazzigen und orchestralen Instrumentalpassagen. Wieder legt der Klangtüftler ein Album vor, das seinen vorherigen nicht einmal ansatzweise gleicht. Faszinierend und wunderschön ist das. Beim Interview in einem Pariser Hotel gibt sich Albarn dann auch ganz isländisch, erzählt von aktiven Vulkanen, schmelzenden Gletschern und versteckten Wesen und freut sich, dass wir mit der Bahn angereist sind.

Damon Albarn: Ach, Bahnfahren ist perfekt: lesen, schreiben, tagträumen – grossartig!

Hast du schon mal Songs im Zug geschrieben?
Ja, im Laufe der Jahre sind sogar eine ganze Menge zusammengekommen. Ich habe eh schon einige ziemlich aussergewöhnliche Zugfahrten erlebt. Eine der denkwürdigsten ging von Beijing aus in den Norden nach Ulaanbaatar. Nordchina fand ich wirklich erschreckend, weil die Landschaft durch die ganze Landwirtschaft völlig versaut ist. Das Gebiet wird sich zu einer Wüste entwickeln – einer menschengemachten Wüste mit toten Bäumen mit Plastiktüten darin. Dann wurde der Zug auf eine kleinere Spurweite umgespannt, man schlief ein und wachte morgens mitten in der Wüste Gobi auf. Das war einfach unglaublich! Eine weitere Reise, an die ich mich erinnere, ging nachts von New York nach Chicago.

Was war da?
Ich hatte das Glück, dass die für die Schlafwagen-Schaffnerin zufällig ein Fan von mir war. Sie liess mich mitten in der Nacht in den Postwagon, um eine zu rauchen. Sie öffnete die Seitentüren, und ich konnte meine Füsse heraus baumeln lassen. Können Sie sich das vorstellen? So reiste ich wie in einem amerikanischen Filmklassiker durch die mondbeschienene Landschaft. Wunderbar!

Du bist ja wirklich Fan des Zugfahrens.
Ja, total, Züge sind grossartig. Ich würde gerne meine gesamte Arbeit in der Bahn erledigen, wenn es denn ginge, aber momentan ist das noch nicht möglich. Wenn die Leute öfter die Bahn und seltener ihr Auto benutzen sollen, muss sich noch einiges ändern. Es ist ein Problem, vor allem in Amerika. Wenn die etwas zu erledigen haben, steigen sie in ihr Auto. Ich ziehe Zugfahren jedem anderen Verkehrsmittel vor.

Auf deinem neuen Album huldigst du Island und der Natur. Die Platte erscheint, während in Glasgow der UN-Klimagipfel abgehalten wird. Zufall oder Absicht?
Reiner Zufall! Es sei denn, jemand in meiner Plattenfirma ist sehr, sehr zynisch, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich war mit diesem Album im April fertig, habe also ziemlich lange gewartet. Aber das lag zum Teil auch daran, dass die Herstellung von Vinyl mittlerweile bis zu einem Jahr dauert. Ich hatte also noch Glück.

Mit dem Brexit hat das ausnahmsweise nichts zu tun?
Na ja, wenn du in England lebst, hast du das Gefühl, dass irgendwie alles mit dem Brexit zu tun hat. Es ist wirklich deprimierend.

Du hast mal angedeutet, dass du Grossbritannien verlassen würdest, wenn der Brexit passiert. Was ist daraus geworden?
Wie das mit Plänen so ist: Sie ändern sich. Ich bin isländischer Staatsbürger, kann dort also leben, falls ich das möchte, und wenn ich die Möglichkeit habe, fahre ich gerne dorthin, aber gleichzeitig hat sich alles sehr verändert. Meine Einstellung zu Flugreisen ist nicht mehr dieselbe. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt einen wirklich guten Grund haben muss, um in ein Flugzeug zu steigen. Und der ist meist beruflich.

Seit wann hast du den isländischen Pass?
Seit ungefähr einem Jahr besitze ich die doppelte Staatsbürgerschaft. Wenn ich nach Island zurückkehre, um das Album vorzustellen, werde ich erstmals als Isländer einreisen, was eine schöne Sache ist.

Björk schwärmte, als im März der Vulkan Fagradalsfjall ausbrach. Hat dich das auch so begeistert?
Als er ausbrach, war ich nicht vor Ort, aber alle meine Freunde haben darüber gesprochen. Ich war beim Mal davor dort, das ist etwa sechs Jahre her. Solche Eruptionen gehören zu den Dingen, die Island zu einem einzigartigen Ort machen. Dass ganz dicht unter der Oberfläche ein Inferno tobt, das jeden Moment losbrechen kann, lässt einen lebendig fühlen.

Wie hat das mit deiner Island-Liebe angefangen?
Als kleines Kind träumte ich immer wieder davon, über schwarzen Sand zu fliegen, hatte aber keinen geografischen Bezug dazu. Und später, mit Anfang 20, fand ich heraus, dass dieses Phänomen, von dem ich seit meiner Kindheit geträumt hatte, tatsächlich existiert. Natürlich gibt es das auch in Neuseeland und auf Hawaii, aber für mich war Island der Ort, von dem ich geträumt hatte. Es war der eigentliche Grund, warum ich überhaupt dorthin gefahren bin, was eine Offenbarung für mich war. Ich hatte also schon lange diese seltsame Beziehung zu Island. Der schwarze Sandstrand dort ist sozusagen der Schlüssel zu allem, was diese Platte ausmacht.

Mit isländischen Instrumentalisten machst du dir nun die Musik des Landes zu eigen. Hast du Björk um Erlaubnis gefragt?
Einer meiner besten Freunde ist Einar Örn Benediktsson, der seinerzeit bei den Sugarcubes mitgesungen hat. Im Zweifelsfall würde ich ihn fragen! Davon abgesehen fragen wir in Island nicht unbedingt für alles um menschliche Erlaubnis. Es wird vielmehr mit dem versteckten Volk kommuniziert, den Huldufólk. In Deutschland bezeichnet ihr sie wahrscheinlich als Feen, so wie wir in England. Das ist eine sehr ernste Sache. Um in bestimmten Gebieten bauen zu können, muss man sogar einen Feen-Anwalt beauftragen, der mit ihnen verhandelt.

Und das hast du gemacht?
Klar, die Feen und Elfen haben nun mal ihre eigenen Anwälte! Bevor ich vor 20 Jahren mein Haus bauen konnte, musste auch ich einen konsultieren und einen Vertrag mit ihnen abschliessen, weil es ja ursprünglich ihr Land war – und auch um sicherzustellen, dass sie mir keine Probleme bereiten. Sie sind ja nicht unbedingt bösartig, aber sie können wirklich durchaus verspielt sein…

Auf den Fotos deines Instagram-Acounts sieht man dich hinter einem Holzklavier sitzen und direkt aufs Meer blicken.
Das ist der Grund, warum diese Platte so ist, wie sie ist. Ich habe in Island vor der Pandemie an einem Projekt gearbeitet, bei dem ich aus dem Fenster blickte und mit Orchestermusikern spielte. Im Laufe eines Jahres haben wir uns zu drei Workshops getroffen und versucht, diese Eindrücke oder – wenn man so will – Gemälde von der Landschaft, dem Wetterwechsel und dem Gletscher Snæfellsjökull in der Ferne zu kreieren. In vielerlei Hinsicht lässt sich dort eine sehr starke und signifikante Klimaveränderung beobachten, die Spitze des Gletschers hat sich dramatisch verkleinert, seitdem ich das erste Mal dort war. Es ist offenkundig. Er sieht noch immer erhaben und wunderschön aus, aber Tatsache ist, dass er verschwindet. Diese bedrückende Atmosphäre floss in unsere Musik ein.

Und dann kam die Pandemie.
Ja, ich musste zurück nach England, nach Devon. In den ersten acht Monaten des Lockdowns habe ich nichts mit den Aufnahmen angestellt. Dann kam mir der Gedanke, die Sache wiederzubeleben. Also habe ich ein Liederbuch über die Probenzeit in Island geschrieben und darüber, wie das mit dem zusammenhängt, was gerade passierte. Eigentlich sollte die Platte durch und durch isländisch sein, aber Devon spielt in meinem Leben ebenfalls eine sehr grosse Rolle.

Inwiefern?
Tatsächlich verbringe ich jetzt einen Grossteil meiner Zeit auf meiner Farm dort. Es ist durchaus mit Island vergleichbar, denn sie liegt ebenfalls direkt am Meer, und vom Haus aus hat man einen ähnlich tollen Panoramablick. Der Song „The Cormorant“ erzählt davon, wie ich am Strand in Devon sitze und einen Vogel, einen Kormoran, bei seiner täglichen Jagd beobachte und mit ihm spreche. Manchmal kam ich mir dabei wie ein Eindringlich vor. Während der Pandemie fing ich an, täglich im offenen Meer schwimmen zu gehen. Ich schwimme dann einfach hinaus, wohl wissend, dass es immer tiefer wird und ich immer hilfloser. Es gibt dort viele gefährliche Strömungen, die einen überraschen und in verschiedene Richtungen ziehen können. Dann ist es manchmal schwer, zurück an Land zu kommen. Aber es fühlt sich so wahrhaftig an.

Und die Gefahr gefällt dir?
Vor allem während der Pandemie war es irgendwie notwendig, diese Gefahr zu spüren und ihr entgegenzutreten, um nicht selbstgefällig zu werden. Ich war ja in einer sehr privilegierten Lage, ich lebte auf meinem Bauernhof. In Devon habe ich keinen einzigen Nachbarn im Umkreis von zwei Meilen. Es ist irgendwie seltsam, dass die zwei Orte so wichtig sind. Aber alles, was ich in den vergangenen 30 Jahren meines Schaffens angesammelt habe, kommt auf dieser Platte zum Ausdruck.

Spiegelt der melancholische, ruhige Grundton der Platte deine heutige Persönlichkeit wider?
Es ist eine Stimmung, in der ich mich häufig wiederfinde. Aber Damon Albarn kann auch lustig sein. Ich bin immer noch dieselbe Person wie Mitte der Neunziger. Ich verfüge nur über ein wenig mehr Erfahrung als damals, bin menschlich ein bisschen gereifter. Und meine Stimme ist eindeutig tiefer.

Die Gorillaz feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum.
Das ist schon verrückt für eine Band, die nicht mal existiert. Es war als ein einmaliges schräges Projekt mit Jamie Hewlett gedacht, aber sie sind immer noch da, und jetzt machen wir sogar einen Film auf Netflix. Wir sind jetzt richtig erwachsen.

Ist auch ein neues Blur-Album in Sicht?
Nicht wirklich. Grundsätzlich ist es möglich, dass wir mal wieder etwas machen. Ich könnte mir auf jeden Fall vorstellen, wieder mit Graham zusammen zu arbeiten. Doch ich verspüre da keinen Zeitdruck. Musik sollte stets im Fluss sein. Ich würde aber gerne mal wieder „Girls & Boys“ und „Parklife“ singen. Das macht mir einfach grossen Spass, und es sind schliesslich meine Lieder.