von Michèle Bianchi
Als Dennis Kiss (ohne seine Sleepers) ins Zürcher Sphères tritt, fällt mir als erstes die leuchtend magentafarbene Jeansjacke als Kontrast zum ansonsten komplett schwarzen Outfit auf.
Gerade von der Kunsthochschule kommend, lerne ich ihn als weit schüchterner kennen, als ich anhand der Songs auf dem Debutalbum „Poco Bono“ erwartet hätte. Keine Rotz-Rock-Attitüde, keine Liam-Gallagher-Arroganz – obwohl man durchaus ein kleines Bisschen Britpop-/Indie-Rockstar raushören könnte. Aber nein: „Rock’n’Roll ist doch sowieso tot.“, so Dennis› Meinung.
Trotz starker Statements wirkt Dennis eher zurückhaltend und introvertiert. Er sei nicht der Typ, der gerne ungefragt Raum einnimmt, an irgendeiner WG-Party die Gitarre auspackt und anderen seine Stimme aufdrängt. Das hingegen passt sehr gut zu dem eher intellektuell und feingliedrig wirkenden Menschen, der genau zuhört und sich schlanke Zigaretten dreht. Er habe aber mittlerweile gelernt, seinen Raum einzunehmen und die Bühne auch geniessen zu können.
Selbst ein Schreiber, beginnt Dennis jedes neue Lied mit den Lyrics. So kommt es auch, dass sich das Album anhört wie eine kleine Seifenoper. Dass „The Beach“ und „Bare Feet, Black Nail Polish“ zusammenpassen, ist mir aufgefallen. „Diese Songs sind beide über dieselbe sehr spezielle Person, das stimmt.“, sagt er.
Das Album macht aber vor allem eins: gute Laune. Erinnert an Oasis, The Kooks, Plain White T‘s, Shout Out Louds, oder all diese anderen frühen Indiesachen, welche anfangs 2000er eben Laune, oder uns zum Weinen gebracht haben. Perfekt jedenfalls für einen Roadtrip mit ausgebleichten Jeans und Salz im Haar.
Dennis Kiss & The Sleepers seien sich bisher nicht zu schade gewesen, „an jeder Hundsverlochete“ zu spielen, erzählt Dennis, als er deren Werdegang und die Entstehungsgeschichte von „Poco Bono“ kommentiert. Auch in Berlin waren sie schon – „einmal Hallo Berlin! rufen war es schon wert, einfach weil.“ – auch wenn er sich nicht mehr an den Namen der Location erinnern kann.
Vor Corona dann haben die Badener angefangen, im Studio mit Philippe Laffer aufzunehmen, hätten diese Arbeit aber schliesslich unterbrechen müssen, um sie nach dem Lockdown wieder aufzunehmen. Was aber glücklicherweise dazu geführt hat, dass sie einander als Band und langjährige Freunde gegenseitig beim Songs schreiben noch besser kennengelernt haben und dadurch auch viel Material zusammengekommen ist.
Musikalisch gesehen ist dementsprechend mit „Poco Bono“ auch ein leuchtend bunter Strauss, um nicht zu sagen, ein Feuerwerk von Stücken entstanden, welche aus Dennis› Leben gegriffene Momentaufnahmen über zwei Jahre hinweg widerspiegeln.
Einige Songs sind älter, andere erst gerade vor Kurzem entstanden, zum Beispiel „Today I Forgive Myself“, der Dennis alleine an die Atlantikküste getrieben hat, wo er sich im Sommer Zeit für sich genommen hatte, um genau diesen Zustand des Alleinseins geniessen zu lernen.
Eine Atmosphäre von lila Samtwolken, durch die man schwerelos schwebt – das wird auch mir in dem Lied direkt vermittelt. „Der ganze Song ist sehr violett, stimmt“, so der farbenblinde Dennis. Und als ich ihn frage, in welche Richtung er sich denn jetzt musikalisch weiterentwickeln möchte, dann am ehesten im Sinne dieses letzten Stücks. Als ich ihm dann ein Kompliment für seine magentafarbene Jacke mache, das er dankend mit „manchmal muss es eben Rot sein“ annimmt, hat er meine Sympathie sowieso längst gewonnen.
Wie das denn sei, wenn man farbenblind ist, habe ich gefragt, worauf wir bei der altbekannten Realitätsfrage landeten und es deren ja so viele nebeneinander gibt wie Lebewesen auf der Welt sind, und vielleicht sowieso niemand die Farben gleich sieht. Das ist bei der Musik, auch aus unterschiedlichen Wellenlängen bestehend, wohl nicht anders. Und Dennis schätzt es einfach, wenn die Songs, die er in seiner eigenen Realität geschrieben hat, in anderen Menschen Resonanz finden und er wiederum auf diese Weise jemand anderem, der sich mit ähnlichen Themen beschäftigt, einen Teil für oder von sich selbst erkennen lässt.
In diesem Sinne: Thank you for the music – und gebt uns mehr davon.