von Christian K. L. Fischer

Seit einigen Jahren ist das Mysterium aus der Musik verschwunden. Wo man früher nur spekulieren konnte, wie Bowie oder Prince lebten und was Madonna und die Beastie Boys vier Uhr morgens nach dem Auftritt hinter der Bühne becherten, wird heute jedes Detail auf allen sozialen Medien in die Welt gestreut. Ganz nah dran, anstatt zu rätseln und zu fantasieren. Was die Künstler menschlicher macht und uns das völlig falsche Gefühl gibt, man könnte genauso sein. Da ist es schon ein revolutionärer Akt, wenn mal wieder jemand sein Image nur auf das Tragen einer Maske aufbaut. Enola Reverof ist da konsequenter. Der Name des Menschen hinter dem Projekt aus Luzern ist nirgends zu finden, ein Foto eben so wenig. Und genau so soll das auch bleiben. Der Kopf hinter dem Projekt hat sich die Anonymität bewusst ausgesucht. „Enola Reverof ist eine Kunstfigur, die ich erschaffen habe.“ Wobei er diese Person nicht in jedem Detail ausgearbeitet hat. „Über die Charakterzüge von Enola hab ich mir tatsächlich weniger konkrete Überlegungen gemacht, aber so ich wie sie selbst wahrnehme, ist sie eine sehr empathische Person. Enola ist für mich wie eine unsichtbare Begleiter:in zu verstehen. Jemand, der da ist, wenn niemand zuhört. Jemand, der sich sorgt. Ein personifizierter Safe Space.“

Das passt zum Klang, den man auf der Debüt-EP „Bury Me In The Clouds“ erleben kann: es ist ergreifender ätherischer Indierock und Dreampop wie aus einer fernen Welt. Sanft, voller Überfluss und Schönheit. Aus dieser warmen Sicherheit heraus, können hier auch düstere Themen frei behandelt werden, vor allem Fragen der mentalen Gesundheit.

Trotz der Anonymität gibt es eine visuelle Entsprechung für Enola Reverof, ein Foto, dass eine Frau zeigt. „Die optische Umsetzung des Projekts soll die menschliche Wahrnehmung herausfordern. Nicht alles was man auf den ersten Blick sieht (oder hört) entspricht auch dem, was man damit erfahrungsgemäss in Verbindung setzt. Die Menschen neigen dazu gewisse Bilder, Gedanken oder Handlungen rasch zu (ver)urteilen, ohne sich vertieft damit auseinanderzusetzen und sich über deren Beweggründe zu informieren. Enola Reverof greift diese Verhaltensweise auf, beleuchtet und hinterfrägt sie. Dadurch soll beim Publikum eine Sensibilisierung stattfinden, um dem schwarzweiss Denken entgegenzusteuern.“

Was völlig in Ordnung wäre, denn die Musik steht problemlos für sich. Alles übrigens allein eingespielt und ebenso allein produziert. „Es ist das erste Mal, dass ich mich in diese Materie rein gearbeitet habe, es ist das erste Werk, dass ich selbst produziert habe.“ Vor Enola hat der Kopf hinter dem Projekt in anderen Bands gespielt. „Ich komme aus der Punk/Hardcore-Welt, daher habe ich diesen DIY-Zugang.“ Die Tracks auf der EP, die jeweils nach einem Wort aus dem Titel benannt sind, entstanden in der Zeit des Lockdowns. „Ich war zuhause, wusste nichts mir anzufangen und so griff ich zur Gitarre und begann neue Songs zu schreiben. Diese namen relativ schnell Form an und so begann ich – ohne Grundkenntnisse – erste Aufnahmen zu machen (und unzählige Logic Pro Tutorials zu schauen). Die Drums habe ich allesamt Schlag für Schlag programmiert, da ich leider selbst kein Schlagzeug spiele. Bei den Tasteninstrumenten ist viel spontan entstanden – mit Midi aufgenommen – so dass ich die Töne bei Bedarf frei setzen konnte, wenn die entsprechenden Akkorde fehlten. Auch die Streicher und zusätzlichen Orchester-Elemente sind mit Midi produziert.“

Und vielleicht haben wir hier sogar schon wieder zu viel des Mysteriums angekratzt und unnötig Realität ins Spiel gebracht. Denn „Bury Me In The Clouds“ braucht eigentlich keine Fakten. Obwohl: diese Songs würden wohl auch dann noch unantastbar faszinierend klingen, wenn Enola Reverof von jedem einzelnen Moment des Tages Fotos posten würde.