von Michal Stricker

Den letzten Winter haben Olivia, Aliosha, Paula und Paul glühweintrinkend im Zürcher Café «Kleine Freiheit» verbracht. Kein Jahr später steht der Debüt-EP-Release von Fräulein Luise vor der Tür, just benannt nach ihrem letztjährigen Winterquartier. Mitten in Zürich – für die junge Band: «Eusi Stadt» – kein Kilometer entfernt von jener WC-Anlage, der man die beissenden Lyrics «Süchtig weg de Einsamkeit und einsam weg de Sucht» zu verdanken hat, haben wir uns mit Fräulein Luise getroffen und so einige Fehldeutungen bezüglich ihrer Musik aufgeklärt.

Über euren Bandnamen und die Anlehnung an Dürrenmatts «Besuch der alten Dame» wurde bereits vermehrt gesprochen. Mit den kurzen bekannten Mädchennamen hört es aber nach Luise nicht auf: Sowohl «Marie» als auch «Marieundanna» sind Songtitel. Niemand von euch heisst so. Wer ist Marie, wer ist Anna?

Paula: Oh wow. Hoppla, Volltreffer! Marie ist einerseits ziemlich direkt eine Marie aus meinem Leben. Ich habe sie kennengelernt und sie hat mir kurz darauf ihre gesamte Geschichte erzählt. Das Lied hingegen soll weniger ihre Geschichte wiedergeben und vielmehr darstellen, wie ich mit ihrer Geschichte in diesem Moment überhaupt nicht umgehen konnte. Das Lied ist eine Art Selbstreflexion und eine Verarbeitung, ein Versuch mit meiner Überforderung umzugehen. Andererseits steht Marie symbolisch für viele Menschen, vor allem auch nachdem der Song herauskam, die sich in ihr wiederfinden können. Marie vermittelt ihnen hoffentlich das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Olivia: Bei Anna, also «Marieundanna» handelt es sich in erster Linie um ein Wortspiel. Es geht in dem Song um eine Suchtproblematik: Marieundanna heisst einfach Marihuana.

Oh okay, danke für die Aufklärung. (An der Stelle möchte die Autorin erwähnen, dass selbst Olivia zunächst eine Weile gebraucht hatte, um den Wortwitz zu verstehen.) Wenn wir bereits bei der Suchtproblematik sind: Drogen und damit verbundene Themen wie die Sucht kommen vermehrt in euren Texten vor. Steckt dahinter ein bewusstes Thematisieren?

Paula: In drei Songs taucht die Sucht auf: «Eusi Stadt», «Marieundanna» und «High». Der Bezug zu und der Hintergrund hinter der Sucht ist bei allen verschieden. Bei «Marieundanna» handelt es sich um einen Erfahrungsbericht soweit ich das beurteilen kann – Ali hat den Song geschrieben. Bei «High» beschreiben wir das aktive Gegenteil: «Ich bruch kein Gü ich bin high vo dir». Die Liebe wird mit der, in diesem Fall, Sucht nach Gras verglichen. Es handelt sich mehr um das Liebesthema und um toxische Seiten der Liebe. Bei «Eusi Stadt» ging alles von diesem Spruch aus, den ich auf einer WC-Anlage an der Limmat gelesen hatte. Wieder: vielmehr eine Beobachtung und deren Effekte auf mich. Ich kann die Erfahrung nicht teilen, weil ich in diesem «wohlbehüetete Züri» aufgewachsen bin. Meine Konfrontation und wieder Überforderung mit dem Fakt, dass es nicht allen so erging oder ergeht.

Paul: Aber bezüglich der Frage, ob wir diese Thematik aktiv in die Runde werfen wollen: So ist das nicht. Es sind wohl einfach Themen, die uns beschäftigen und mit denen wir in Kontakt kommen. Und wenn dann zum Beispiel Paula etwas beschäftigt, schreibt sie einen Text darüber – es ist keine Drogenprävention oder sowas.

Olivia: Unser Ziel ist wirklich nicht, die Welt zu erklären, sondern nur Beobachtungen darzubringen. Das, was uns berührt auszusprechen. Auszusprechen, was wir nicht verstehen – wie vermehrt erwähnt die Überforderung.

Paula: Einfach Ehrlichkeit. Ich schreibe auch nicht mit dem Hintergedanken, dass viele Leute die Songs dann hören und sie interpretieren werden – sondern einfach, was ich gerade loswerden muss.

Gewisse Songs sind Schriftdeutsch, andere Züridütsch – ist Grund dafür verschiedene Songwriter? Oder hängt die Wahl der Sprache mit dem Inhalt zusammen?

Olivia: Die Texte verfasst meistens Paula. Bezüglich der Wahl der Sprache: Es würde sich wohl einfach nicht so richtig anfühlen, ein Lied über Zürich auf Schriftdeutsch zu singen.

Paula: Genau. Die einzigen Schweizerdeutschen Lieder sind «Eusi Stadt», «High» und «Heiweh». Beim Stadtbezug und der Heimat ist es ziemlich klar, bei «High» ist es einfach passiert – hätte auch Schriftdeutsch sein können. Abgesehen von der Sprachästhetik gewisser Worte, schreiben sich die Texte wohl in der Sprache, in der es sich richtig anfühlt – ohne grosse Absicht.

Was möchtet ihr denn gerne mit eurer Musik und auch dieser ersten EP ausdrücken?

Paul: Wir haben einfach Freude an der Musik und an einander. Es muss gar nicht unbedingt mehr dahinter sein. Es macht einfach Spass.

Stimmt, das reicht auch völlig aus. Aller Anfang ist hingegen bekanntlich schwer und euch gibt es als Band noch gar nicht so lange. Wie habt ihr den Anfang als frische und doch bereits ziemlich erfolgreiche junge Band in der Schweizer Musikszene empfunden?

Paul: Wir hatten sehr viel Glück. Während der Pandemie sind wir als Band entstanden und genau während dieser Zeit ging es eigentlich enorm vielen Musiker und Musikerinnen nicht gut. Für uns hingegen war das eher positiv. Ohne Corona gäbe es uns gar nicht. Da hat nämlich alles angefangen. Und auch danach: In der Schweiz gibt es wirklich viele Bandförderungsprogramme. Beispielsweise das Band-it, das uns wirklich weitergeholfen hat. Wir durften auch von anderen Fördergeldern profitieren. Mittlerweile haben wir schon ein paar dutzend Konzerte gespielt. Es läuft in der Schweizer Musikszene eigentlich sehr viel. Wir können kaum etwas kritisieren. Wir werden unterstützt und dürfen tun, was wir wollen. Das ist purer Luxus.

Paula: Ja. Ich denke vor allem, wenn man uns mit anderen Bands vergleicht.

Paul: Und im Vergleich mit anderen Ländern. Ich bezweifle, dass sonst wo so viel Unterstützung zur Verfügung steht, wie in der Schweiz.

Olivia: Dann gibt es auch noch die ganzen kantonalen und staatlichen Fördergelder. Wir haben sowas zwar (noch) nicht bekommen. Aber die sind auch ziemlich heftig.

Paul: Ja, der Anfang war nicht schwer.

Olivia: (lacht) Ja, das ist so. Unser erstes Konzert in dieser Formation war am Band-it 2021. Und wir haben gewonnen! Wirklich krass. Das hat uns dann im Anschluss wirklich viele Chancen ermöglicht. Ein Riesenglück, das hat uns ziemlich katapultiert.

«Mir händ eigentlich nume Glück gha i dere Band.» – Paul

«Ich hoffe, die Glückssträhne gaht ewigs wiiter.» – Olivia

Euer Prozess war soweit also ziemlich dankbar. Wie geht es denn jetzt weiter, was steht nach dem EP-Release an?

Paula: Wir haben alle so viel in diese Band und EP investiert. Seit sicher einem Jahr ist Fräulein Luise so ein grosser Teil von unserem Leben. Es ist manchmal fast ein bisschen anstrengend, für mich zumindest. Es gibt nie wirklich einen Abschluss, eine Pause – ich bin die ganze Zeit dran. Wenn wir nicht gerade proben oder ein Konzert spielen, beantworten wir Mails.

Olivia: Wir freuen uns nun ziemlich, über den Winter ein bisschen durchatmen zu können. Uns neuen Sachen widmen zu können. Wir spielen immer noch Konzerte – zum Beispiel am 27. November im Zürcher Club Helsinki. Dennoch, so bisschen Winterpause. Das wird bestimmt auch mal schön.

Paul: Genau. Und irgendwann hoffen wir natürlich schon, dass uns irgendein Label zumindest die administrative Arbeit etwas abnehmen kann. Da würde uns eine grosse Last von den Schultern fallen.

Paula: Ja, oder wenn wir an einen Punkt kommen könnten, wo es sich geldtechnisch für uns auch lohnen würde, noch mehr Zeit in die Band zu investieren. Momentan ist es schon so, dass wir Geld verdienen, aber das Geld immer direkt wieder in die Band hineinstecken.

Paul: Ja, wir wollen das auch wirklich beruflich tun. Dann ist es klar, dass man damit auch sein Geld verdienen will.

Ja, das hat die Definition eines Berufs an sich. Und leider als Musiker:in nicht so leicht. Damit viel Glück! Doch bevor wir euch gehen lassen, möchtet ihr sonst noch etwas loswerden?

Paul: Man gewinnt womöglich in diesem und generell in Interviews den Eindruck, dass unsere Musik nur auf Text basiert. Dem ist aber überhaupt nicht so. Mir ist es wichtig klarzustellen, dass die eigentliche Musik genauso wichtig ist wie der Text. Darüber spricht man nur nicht so oft.

In dem Sinne, genug der Worte. Play that music!