von Rainer Spartakus Etzweiler
Life is Strange True Colors
Zurück in der Kleinstadt. Nach dem Road-Movie-Setting des zweiten Teils bringt «Life is Strange: True Colors» die Kulisse des Debüts zurück. Haven Springs ist ein idyllisches Örtchen in Colorado und das neue Zuhause von Alex Chen, die dort ihren verschollenen Bruder wiedergefunden hat. Die elternlose Alex wurde während ihrer Kindheit von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht wie ein Joint im GZ Schwamendingen. An sich schon traumatisch genug, ist sie darüber hinaus in der Lage die Emotionen ihrer Mitmenschen zu fühlen, was sich in bunten Aura-Wellen visualisiert, die Alex mal mehr, mal weniger aufwühlen.
Im Gegensatz zu den Superkräften der vorhergehenden Protagonisten (Zeitmanipulation und Telekinese) wirken Alex Fähigkeiten anfangs etwas unbeeindruckend. Die narrativen Möglichkeiten daraus sind aber umso vielfältiger. «Life is Strange: True Colors» schneidet immer wieder unbequeme Themen an und geht sensibel und überraschend uncringey mit Mental Health um. Spielerisch bleibt sich die Franchise ebenfalls treu: Alex erlebt ein interaktives Drama, in dem sich simple Puzzles und dialogreiche Sequenzen die Hand reichen. Das Abenteuer ist exzellent vertont und Charaktere wie der Craft-Beer-Posterboy Ryan und die nerdige Steph sind mindestens so sympathisch und ausgearbeitet wie die Hauptakteurin.
Das Spiel lässt dich im Umgang mit den beiden und all den anderen Bewohnern von Haven Springs weitgehend die freie Wahl. Die daraus resultierenden Konsequenzen wirken dabei aber nicht immer ganz angemessen und die Story bleibt trotz den zahlreichen Dialogoptionen einigermassen linear. «Life is Strange: True Colors» geht keine Risiken ein, liefert dafür aber Fanservice pur in einem hochemotionalen Game mit einem tollen Soundtrack.
Erhältlich für PS4, PS5, PC und Xbox One
Deathloop
Das beeindruckendste an «Deathloop» ist, wie geschmeidig die einzelnen Gameplay-Zahnräder ineinandergreifen – und wie unverschämt rund das Ergebnis ausfällt. Der neue «Groundhog Day»-Action-Adventure-Ego-Shooter des «Dishonored»- und «Prey»-Teams vereint Roguelike- mit Metroidvania-Mechaniken und verpasst ihnen einen eigenen, cleveren Twist. Du wachst am Strand einer subpolaren Insel auf und musst acht exzentrische Weirdos umnieten, bevor der Tag rum ist. Sonst startet dieser von Neuem und du wieder bei null. Aber eben nicht völlig: Du hältst die Informationen über deine Ziele in deinem Journal fest und bekommst die Möglichkeit, Equipment trotz Zeitschlaufe zu behalten.
So minimiert Arkane Frustration und gibt dir gleichzeitig die Möglichkeit, die vier wunderbar verschachtelten Gebiete der Insel immer weiter zu erkunden. Auch wenn dieser eine Tag sich wiederholt, steckst du nie fest, jeder Durchgang bringt dich dem Ziel ein paar kleine oder grosse Schritte näher und darin liegt die Genialität von «Deathloop» begründet. Stell dir ein actionreicheres, 1960s-Sci-Fi-«Hitman» vor, bei dem du die Mission nicht neu starten musst, wenn etwas nicht geklappt hat oder du was Neues gelernt hast und es anwenden willst, sondern dieser Vorgang meisterhaft in Story und Gameplay eingewoben ist.
Wario Ware: Get It Together!
Fünf Sekunden, mehr Zeit braucht Spass nicht. Das steht so nicht nur in unserem Tinder-Profil, sondern ist auch das Credo der «Wario Ware»-Franchise, die mit ihrem Launch im Jahr 2003 das Konzept der Microgames eingeführt hat. Dabei gilt es innerhalb von wenigen Sekunden herauszufinden, was die Anarchie auf dem Bildschirm eigentlich soll und welche Reaktion von einem erwartet wird. Einige der Microgames orientieren sich an klassischen Gaming-Geschicklichkeitsaufgaben und sind rasch verstanden. Meistens ist das Setup aber grandios bizarr und verlangt etwas Einarbeitung in die herrlich absurde Wario-Welt.
Unter anderen müsst ihr einen Vampir per Jalousie von der Sonne schützen, Achselhaare zupfen oder Giraffen füttern. Erstmal kommt dafür nicht nur Wario zum Einsatz, sondern auch seine Frenemies aus den früheren Titeln und einige Neuzugänge. Diese haben allesamt unterschiedliche Fähigkeiten, was die Herangehensweise an die Aufgaben jeweils leicht verändert. Ebenfalls neu ist der semi-kooperative Zweispieler-Modus, der ein zusätzliches Chaos-Element hinzufügt. Einen übergreifenden Narrativ hat «Ware Ware: Get It Together!» auch, dieser wirkt aber einigermassen überflüssig.
Die ständigen Unterbrüche nerven und nehmen dem ADHS-Gameplay das Tempo. Darüber hinaus gibt es aber wenig zu meckern. Die lange Pause (der letzte reguläre Teil erschien vor mehr als zehn Jahren) hat der Serie auf jeden Fall gutgetan. Die Microgames spielen sich überwiegend unverbraucht und sind die willkommene Antithese zum «grösser, komplexer, länger» Ansatz der Branche.
Erhältlich für Nintendo Switch
Lost Judgement
Während die «Yakuza»-Reihe mit dem jüngsten Teil zum RPG wurde, behält deren Spin-Off das actionreiche Gameplay bei und natürlich ist our boy Takayuki Yagami auch wieder am Start. Seit dem Debüt sind drei Jahre vergangen und der Ex-Anwalt und Jetzt-Privatdetektiv strauchelt zum zweiten Mal über einen Fall, dessen Radius mit jedem neuen Detail wächst und nach einigen Stunden die Tragweite einer kompletten Staffel «Law & Order» abdeckt. Von Bullying über Brandstiftung bis hin zum Mord verflechtet «Lost Judgement» eine spannende Grossstadt-Story, deren Schauplatz einmal mehr das fiktive Tokio, hier Kamarucho, ist. Dieses ist lebendiger denn je und hält die serientypischen Sidequests bereit, die sich gewohnt durchgeknallt und absurd geben. So gilt es etwa, Eichhörnchen-Graffitis zu finden oder mithilfe von Katzen einen geheimen Ramen-Shop aufzuspüren. Weiterhin hält auch die Schule, an der Yagamai ermittelt, einige Nebenaufgaben bereit.
Im Hauptplot greifen wir, wie die meisten guten Privatdetektive, mehrheitlich auf Gewalt zurück. Wie bereits im Prequel und in «Yakuza 1 – 6» nimmt sich Yagami seinen Gegnern in klassischen Beat’em Up-Manier an. Einfache Combos und der Wechsel zwischen den verschiedenen Kampfstilen gelingen, dank der arcadelastigen Steuerung schnell und einfach. Die lächerlich brutalen Finishing Moves und die zahlreichen Waffen halten die Kämpfe zudem bis zum Schluss des gut 40-stündigen Games kurzweilig.
Zusätzlich aufgelockert wird die Action von den investigativen Abschnitten. Hier wollen Personen beschattet und verhört oder Hinweise analysiert werden. Die Detektivarbeit ist unterhaltsam und etwas besser ausgearbeitet als im ersten Teil, bleibt aber sehr oberflächlich. Aber dennoch: Eine packende Story, grossartige Sidequests und so viel Charme wir drei Ryan Reynoldses – «Lost Judgement» ist die Quintessenz von alle dem, was das Ryu Ga Gotoku-Entwicklerstudio ausmacht und eins der besten Spiele des Jahres
Erhältlich für PS4, PS5, PC und Xbox One
Eastward
Gut informierte Indie-Game-Lovers wissen: Was der Publisher Chucklefish unter die Leute bringt, ist für gewöhnlich a) wunderhübsch und b) qualitativ mindestens sehr gut, meistens sogar hervorragend. Berühmtestes Beispiel dafür: Das Farming-RPG «Stardew Valley», dessen therapeutischer Effekt höchstens noch von «Animal Crossing» übertroffen wird. So überrascht es auch wenig, dass der neuste Release der Briten nahtlos an diesen Trend anschliesst. «Eastward» erzählt die Geschichte von John und Sam, einem ungleichen Duo, das ein tristes Leben als Tagelöhner in einer Mine fristet. Die Oberwelt ist tabu, so wird ihnen immer wieder eingetrichtert. Kataklystische Ereignisse, tödlicher Nebel blah blah – man kennt es. Sam glaubt, dass mehr dahintersteckt und einige vorhersehbare Twists später schicken die beiden sich an, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.
Wer «The Legend of Zelda» bereits seit dessen 2D-Zeiten kennt, muss in Sachen Gameplay nichts Neues lernen. John vermöbelt allerlei Gesocks mit seiner Bratpfanne und später auch einigen Wummen, Sam friert Gegner per Energy-Geschoss für kurze Zeit ein. Zwischen den zwei Charakteren kann beliebig gewechselt werden und oftmals verlangen die Puzzles und stärkere Bosse die Synergie der beiden. Gemächlicher geht’s in den Städten zu. Hier wird eingekauft, ausgeruht und mit der lokalen Bevölkerung gequatscht. Letztere sind – neben der hoch-detaillierten Pixeloptik – das Highlight. Auch anfangs unscheinbare Nebencharaktere erzählen oft ausschweifend von ihren Struggles und wenn Sam mit einer Gruppe von Gleichaltrigen zusammenkommt, fühlt es sich ein bisschen so an, als ob die «Stranger Things»-Gang einen Upside Down-Zugang in die Welt von «Eastward» gefunden hätte.
Das Gaming-Debut des Shanghai’schen Studios Pixpil bedient sich etwas gar grosszügig bei Nintendos Adventure-Opus denn die Parallelen hören nicht beim Gameplay auf. Johns zuvor erwähnte Bratpfanne etwa behält auch ihren ursprünglichen Zweck bei und kann zum Kochen von heilenden Menüs genutzt werden und einige der Boss-Gegner waren zumindest schon mal in Hyrule in den Ferien. Was «Eastward» aber an Innovation fehlt, macht der Titel mit viel Herz wieder wett. Und ausserdem ist Imitation ja immer noch die höchste Form der Anerkennung.