von Sascha Gala Mikic
Nicht lange nachdem die Newcomerin Jamila realisierte, dass sie ihre Leidenschaft für Musik zum Beruf machen will, ist auch schon im August ihre erste EP „Fadeout“ veröffentlicht worden. Im Gespräch mit ihr fanden wir heraus, wie sie sich und ihr Künstlertum durch die Musikindustrie durchwuselt und was ihr zur Zeit Sorgen und Freude bereitet.
Hoi Jamila! Wie geht’s?
Ich habe eine crazy Woche hinter mir, gebe jeden Tag Interviews und stelle meine EP vor, die Ende August veröffentlicht wurde. Es ist das erste Mal, dass ich so einen Release durchmache und ich habe nicht erwartet, dass so viele Interviewanfragen kommen.
Konntest du deine Songs auch bereits live spielen?
Ich durfte bereits beim SRF bei einer Live-Session drei Songs meiner EP spielen. Das war ebenfalls ein neues Erlebnis für mich, denn ich habe sehr wenig Erfahrung in Live-Auftritten. Meine Band habe ich auch erst diesen Frühling gegründet, also haben wir bisherige Konzerte eher im privaten und kleinen Raum gehalten.
Was gefällt dir denn mehr: live auftreten zu können oder das Songwriting?
Hmm, schwierig zu sagen. Denn beide Erlebnisse unterscheiden sich doch sehr. Konzerte zu geben setzen ein soziale Bedingung voraus und das Songwriting ist etwas, was ich alleine unternehme. Aber ich glaube, wenn ich etwas für den Rest meines Lebens machen müsste, dann ganz gewiss Songs schreiben, denn das ist meine grösste Leidenschaft.
Wie kommt es denn dazu, dass Musik so eine grosse Leidenschaft ist für dich?
Ich habe schon von klein auf ständig vor mich hingesungen bis ich irgendwann merkte, dass ich eventuell einen Weg in Richtung Musik einschlagen könnte. Das begann dann damit, dass ich ganz klassisch Gesangsunterricht nahm und einem Chor beigetreten bin. Die Leidenschaft wuchs dadurch in mir, aber ich traute mich nie, gross zu hinterfragen, ob ich mehr aus dieser Passion herausholen will.
Wieso nicht?
Wahrscheinlich, weil ich zunächst dachte, dass es sehr scary gewesen wäre, hätte ich Musik zu meinem Beruf machen wollen. Viele Menschen würden das gerne tun, aber es ist wirklich nicht einfach, davon tatsächlich leben zu können. Doch dann schloss ich mein Bachelorstudium in Kulturwissenschaften ab und wurde immer wieder gefragt, was man denn mit so einem Studium überhaupt machen kann. Dabei merkte ich, dass ich immer wieder dieselben Antworten auf diese Frage gebe, aber diese mich sehr unzufrieden machen, weil sie nicht authentisch sind. Und dann traute ich mich, aktiv in mich hineinzuhören und realisierte: „Hey, ich will eigentlich doch Musik machen!“
Sehr schön, dass du dich dazu entschieden hast, denn es braucht Mut dafür. Merkst du bereits, wie sich deine Musik von der anderer Künstler:innen unterscheidet?
Eine schwierige Frage, da ich noch ganz am Anfang meiner Karriere bin (lacht). Aber ich sags mal so: Musik hat für jeden eine individuelle Bedeutung und wird auch sehr verschieden benutzt, zum Beispiel für Stimulation oder für Entertainment. Aber für mich ist Musik sehr wichtig für die Beziehung zu mir selbst und ist deswegen eine Form von Selbsttherapie, in der ich meine Emotionen verarbeite und meinen Blick auf die Welt zu formulieren versuche. Von dem her, würde ich sagen, dass meine Musik vielleicht den Zweck hat, dass sich andere mit den Texten und Melodien identifizieren können und wissen, dass sie nicht allein sind mit ihren Emotionen.
Bist du bereits irgendwelchen Herausforderungen begegnet im Musikbusiness?
Ja, der finanzielle Aspekt macht jetzt am Anfang schon zu schaffen. Ich investiere momentan sehr viel in meine Projekte und erhoffe mir natürlich auch, dass ich bald das Gesäte auch ernten darf. Als Newcomer ist man in einer Position, in der man alles ein bisschen naiv annimmt, was auf einen zukommt. Aber irgendwann muss man auch darauf achten, dass man für sich selbst einsteht, denn sonst könnte das Ganze eher als Hobby bezeichnet anstatt als Beruf ernst genommen zu werden.
Heutzutage ist es so, dass soziale Medien den Musiker:innen helfen, ihre Leidenschaft in einen Beruf umzuwandeln; je grösser die Fanbase, umso grösser die Chance, dass deine Songs heruntergeladen oder gestreamt werden. Nutzt du Instagram, TikTok & Co. in diesem Sinne aktiv?
Ich taste mich an das heran, denn ich bin eigentlich eine sehr private Person, die eher ein „silent social media consumer“ ist und nicht gerne im Mittelpunkt steht – ich weiss, es ist daher ironisch, dass ich Musikerin werden will (lacht). Zum Glück fordert jedoch mein Label nicht, dass ich mich online verausgaben muss; sie haben mir dazu geraten, meine digitale Präsenz ganz entspannt und in meinem eigenen Tempo zu etablieren. Das ist eine ziemliche Erleichterung!
Heisst das, dass du einen Unterschied zwischen der Künstlerin Jamila und der Privatperson Jamila machst?
Ich glaube, es ist wichtig und nachhaltig, da einen Unterschied zu machen. Auch als Newcomerin habe ich bemerkt, dass wenn man seine Leidenschaft zu seinem Job macht, dann fällt einem das Abgrenzen sehr schwer und plötzlich wird die Privatperson ins Rampenlicht gerückt und mit der Künstlerin fusioniert. Es kann sein, dass ich mit diesem Problem mehr konfrontiert sein werde, je öfter ich live auftrete. Ich nehme an, dass man dann ein Ritual entwickelt, bei dem man einen Switch umstellt und zwischen den beiden Rollen hin und her wechselt. Zumindest passiert mir das jetzt manchmal, wenn ich Interviews gebe: Ich kann „on“ sein und erst danach realisieren, wie automatisch dieser Vorgang war.
Dass, wie du das eben gesagt hast, die Privatperson ins Rampenlicht gerückt wird, wird bei dir wohl ein intensiverer Vorgang sein, denn die Themen deiner EP „Fadeout“ sind sehr intim und ehrlich. Sie hören sich so an, als würdest du mit all diesen Themen – z.B. Beziehung, Depressionen etc. – abschliessen und diese verblassen lassen; als wäre das übergreifende Thema ein generelles „fading out“.
Schön, dass du das so interpretiert hast, denn ich schliess mich deiner Auffassung an. Ich fand die Tracks waren alle irgendwie verbunden, aber du hast sehr gut auf den Punkt gebracht, auf welche Weise sie das sind. Der Grund dafür ist, dass die EP eine Türschwelle darstellt: Mit ihr schliesse ich mit einigen Kapiteln in meinem Leben ab und zeitgleich symbolisiert sie den Startschuss zu einer neuen Etappe in meinem Leben. Die Dinge haben sich eben verändert; als ich die Songs schrieb, wusste ich nicht wirklich, wo hin mit mir und meinen Emotionen, aber jetzt bin ich mir darüber viel mehr im Klaren.
Welcher Song bringt dieses Abschliessen eines Kapitels am meisten hervor?
Ganz klar der Track „Fadeout“. Ich hab diesen vor einem Jahr geschrieben nach einem Gespräch mit meinem Produzenten in dem ich ihm im Detail erzählt hatte, wie es mir eigentlich zu dieser Zeit ergangen ist. Ich steckte da in Depressionen, hatte Angststörungen und stressbedingt körperliche Probleme. „Fadeout“ ist wie ein Rückblick auf diese Zeit und wirkt nachträglich sehr heilsam auf mich, da ich nun guten Gewissens sagen kann, dass diese Zeit vorbei ist.
Brauchte es Mut, um dieses Lied der Öffentlichkeit vorzustellen?
Absolut. Es stand zur Debatte, ob das Lied überhaupt in die EP aufgenommen werden soll, denn ich mache mich sehr verletzlich dadurch. Doch als ich die EP bei einer „Listening Party“ meinen Freund:innen vorstellte, war die Atmosphäre im Raum aufgeladen mit so viel Emotionen. Ich habe in diesem Moment so viel Liebe gespürt und wurde überhaupt nicht verurteilt – im Gegenteil: alle Beteiligten äusserten, dass sie es super finden, wie ich in meinen Liedern meine Gedanken- und Gefühlswelt vermittle und wie sehr sie selbst schon oft dieselben Gedanken hatten. In dem Moment fühlte sich niemand mehr allein.