von Sascha Gala Mikic

Nach einer längeren Pause veröffentlicht Reto Kaufmann sein zweites Album «En liaba Gruass». Darin versucht sich der Musiker in einem neuen Genre – und das gelingt ihm gut, nicht zuletzt auch weil die Ehrlichkeit seiner Texte einem wirklich unter die Haut fährt. Ein Gespräch über Wortverpackung, Ankünfte an neue Ufer und die Freiheit, auf Mundart seinen Gefühlen Luft zu machen.

Wie kam es dazu, dass du Musik für ein Publikum machst?
Die Frage hat sich für mich eigentlich noch nie gestellt. Ich wollte nämlich schon immer auf der Bühne stehen, vor allem nachdem ich als Kind oder Teenager auf YouTube Videoclips von den Konzerten meiner Lieblingsbands angeschaut hatte. Für mich gehören Musik und Bühne einfach zusammen (lacht).

Wieso machst du Musik auf Mundart und nicht Englisch?
Ich war früher in Punk-Bands, in denen wir immer auf Englisch gesungen haben, bis ich dann anfangs meiner Zwanziger nicht mehr dazu inspiriert war. Doch dann begann einer meiner Freunde, Lieder auf Schweizerdeutsch zu schreiben und das hat mich dann total geflashed! Plötzlich war da keine Sprachbarriere mehr, er konnte also alles so sagen wie und wann er wollte – und das wollte ich auch.

War somit das Songwriting etwas einfacher geworden für dich?
Jein. Es ist immer noch schwierig, alles in Worte packen zu können.

Ich glaube, dass merkt man ein bisschen. Es scheint so, als würdest du zuerst deinen Text schreiben und erst dann die Musik dazu finden. Oder aber du verlängerst einzelne Strophen und passt dann den Rhythmus fast schon spontan an das an.
Kann gut sein (lacht). Eben, ich scheitere oft daran, dass ich nicht weiss, wie ich alles, was ich sagen will – und das ist oftmals sehr viel – so herausbringen kann, dass ich nicht nur auf den Punkt komme, sondern sich das Gesagte auch gleichzeitig harmonisch anhört. Manchmal finde ich, dass hinter meinen Texten keine zusammenhängende Story zu finden ist.

Es muss ja nicht immer eine Story sein, denn was deine Texte ausmacht, ist echt eine brutale Ehrlichkeit, die einem nach jedem Satz entgegenspringt. Woher findest du den Mut, so ehrlich zu sein?
Oh ja, vor allem beim ersten Album hatte ich Mühe, so ehrlich zu sein. Aber ich muss auch sagen, dass ich nicht wirklich erwartet hatte, dass so viele Menschen sich das Album anhören werden. Das machte mir natürlich auch Angst, denn alle wussten, was mich beschäftigt. Aber mittlerweile kann ich eine sehr gute Trennung machen zwischen der Kunstfigur Kaufmann und mir selbst; früher hafteten Songs eher an mir, aber jetzt ist es so, dass wenn ich einen Song schreibe, ich mich auch von dem verabschieden kann.

Wie befreist du dich von kreativen Blockaden?
Wenn sie mich nicht frustrieren, dann versuche ich es gar nicht erst, mich von denen zu befreien. Man kann ja auch nicht eine Idee erzwingen. Dann hilft es eventuell rauszugehen, Menschen kennenzulernen, in den Ausgang gehen und was trinken. Einfach aus dem Alltagstrott herauskommen und die Komfortzone verlassen.

Also gönnst du dir eine Pause. Das war schon mal der Fall, nämlich in den Jahren nach deinem ersten Album.
Mir ging es nicht wirklich gut in der Zeit, ich hatte Panik und Depressionen. Dies verstärkte sich dann auch zunehmend durch Covid-19. Ich brauchte also Zeit, um einige Sachen in meinem Leben zu verändern. Zudem mussten wir das Album zweimal aufnehmen, weil es das erste Mal nicht so klang, wie wir es wollten und dieser Prozess verzögerte sich auch wieder, weil manche von uns an Covid-19 erkrankten oder weil Konzertveranstalter absagten.

Du steckst sehr viel Herzblut in deine Musik rein. Gibt es ein Lied in deinem neuen Album, welches dir besonders am Herzen liegt?
Hmm, ich glaube «Heb mi fescht». Ich wollte darin zum Ausdruck geben, wie es ist, wenn man innerhalb eines Moments checkt, dass es Menschen gibt, die einen aufrichtig gernhaben. Diese Liebe zu empfangen und sich ihrer wert zu fühlen ist unglaublich, denn ich habe vorher nie wirklich das Gewicht dieses schönen Gefühls verstanden. Erst als ich anfing, mich durch meine Mitmenschen wie zum Beispiel meine Freundin selbst zu schätzen, verstand ich es.

Oh, ich wusste nicht, dass du in einer Beziehung bist. Ich dachte nämlich, dass die Tracks «En liaba Gruass», «Schatta» und «Schuno blöd» von Herzschmerz, der durch eine Ex-Freundin verursacht wurde, handeln.
Witzig, dass du das so interpretierst (lacht). Keine Sorge, man kann die Songs eigentlich nicht falsch interpretieren, aber zum Beispiel im Lied «Schuno blöd» rede ich quasi wie mit meiner Angst und beim Lied «Schatta» habe ich an meine Schwester gedacht. Und bei «En liaba Gruass» habe ich nicht mal an irgendeine bestimmte Person gedacht; ich war einfach ein bisschen genervt im allgemeinen Sinne und wollte dieser Genervtheit Luft machen.

Was war denn das Ziel des gesamten Albums? Gibt es ein Thema, welches in allen Songs immer wieder vorkommt?
Das Album war so konzipiert, dass mir die Lieder Mut machen, dass alles im Leben gut kommen wird. Darin ist im Grunde genommen ein Ankommen und ein Loslassen einer gewissen Etappe im Leben beschrieben, wobei mir das Ankommen leichter fällt als das Loslassen. Loslassen ist schwer, denn ich war schon immer so, dass ich mich an alles Negative klammerte, daher ist das Herantasten an etwas Neues, wie zum Beispiel an Positivität zu glauben, zwar nicht einfach, aber definitiv eine willkommene Abwechslung.

Kann man deinen Genrewechsel ebenfalls als ein Ankommen an neue Ufer bezeichnen? Der Sound in deinem ersten Album richtete sich eher nach Folk-Pop und das neue nach Alternative Rock aus den 90ern.
Mag sein, dass es sich um ein Ankommen handelt, aber ich habe mir da nicht viel überlegt. Ich habe ja einen Punk-Hintergrund und hatte nun einfach Bock, etwas härtere Musik zu machen. Es kam auch sehr natürlich und ich wollte etwas machen, bei dem ich mich auch daheim fühle.