von Jessica Jurassica

Mein Sommer sah so aus: Im Bett liegen, Honigwaffeln essen, Bruder Albertus Tee trinken und manchmal weinen. Ein Breakdown reihte sich an den anderen. Irgendwann suchte ich mir Hilfe, auch weil ich ausser den Honigwaffeln kaum ass, und liess mir Dinge verschreiben, wie eine Therapie, Eisen, B12 und ein Johanniskrautpräparat namens Deprivita. Der Rest meines Sommers sah danach so aus: Tabletten schlucken, im Bett liegen, Honigwaffeln essen, Bruder Albertus Tee trinken und manchmal weinen. Hin und wieder bei einer Therapeutin auf dem Sofa sitzen.

Als sich dieser schleppende Sommer endlich seinem Ende zu neigte, begann sich meine Welt nach und nach wieder zusammenzusetzen und mein Leben schien zunehmend wieder an Substanz zu gewinnen. Ich begann wieder hinter der Bar zu arbeiten und langsam war absehbar, dass meine mehrfach verschobenen Live-Auftritte diesen Herbst tatsächlich stattfinden würden. Ehe ich mich versah, sass ich in einem Zug nach Basel, wo ich meinen Ausweis und meine Bankkarte verlor. Ein paar Stunden später stand ich auf der Bühne und brüllte die einzigen Lyrics unseres neuen Lieblingssong ins Mikrophon: JEFF BEZOS ISCH MIR SCHEISS EGAL.

Dafür, dass ich Zug fahren und vor Publikum auftreten insgeheim eigentlich ziemlich stressig finde, fand ich das alles dann doch richtig nice. Ich fand die cuten Menschen nice, ich fand die anstrengende Show nice. Ich fand sogar das Hotel nice, das uns die Venue gebucht hatte, auch wenn ich mich im nächtlich verlassenen Hotelflur fühlte wie eine Einbrecherin, weil ich mir Hotels nie leisten konnte. Aber es gab ein grosses King-Size-Fickbett mit weichen Kissen und gut duftenden Decken und geiles gratis high-quality Mineralwasser.

Als ich eine Woche später wieder im Zug sass, dieses Mal nach Glarus, merkte ich, dass ich am Bahnhof mein Ticket im Automaten hatte liegen lassen. Es war ein richtig teures Ticket und ich dachte, dass wenn das so weiter geht, sich die ganze Sache echt nicht rechnet, weil dann einfach jeweils die halbe Gage dafür drauf geht, dass ich meinen Kopf nicht beieinanderhabe. Aber der Weg nach Glarus war so weit, dass ich den Zwischenfall bereits wieder vergessen hatte, als ich dort ankam. Als ich aus dem Zug ausstieg, schaute ich etwas eingeschüchtert zu den Bergen hoch, die bedrohlich auf allen Seiten aus dem Boden schossen und machte mich auf die Suche nach der Venue. Diese war einer dieser alternativen Kulturläden, die in peripheren oder provinziellen Regionen immer am nicesten sind, weil sie von Leuten betrieben werden, die wirklich Bock haben und das Publikum kommt, weil es auch wirklich Bock hat. Es ist einfach ein anderes Commitment mitten in den Bergen sorgfältig kuratiert Kultur zu veranstalten und konsumieren, als in irgendwelchen coolen urbanen In-Quartieren.

Ich las aus meinem Buch und danach kaufte mir das Publikum alle Bücher weg, die ich mitgenommen hatte und war auch sonst super sweet. Trotzdem war ich froh, hatte ich das Hotel-Angebot dieses Mal abgelehnt. Als ich ging, zog zwar ein warmer, schwerer Wind durch das Tal, aber die Berge waren mir mit den Stunden dann doch etwas zu bedrohlich geworden. Das ist schliesslich das, was ich an Bern so sehr schätze: Die Berge sind zwar in Sichtweite, aber doch in sicherer Entfernung.

Ich bin also back on Tour und für meine psychische Verfassung ist das ziemlich dankbar. Ich schlucke immer noch meine Deprivita Pillen und manchmal esse ich Honigwaffeln im Bett. Aber die Breakdowns sind weniger geworden, vielleicht wegen der Deprivita Pillen, vielleicht auch einfach, weil ich endlich wieder unterwegs sein und mich das in ein Verhältnis zur Welt setzt. Das hilft mir, wieder klarer zu werden, wer ich bin und was ich will, zum Beispiel eingeklemmt zwischen Bergen Lesungen zu halten und dafür ehrliche Wertschätzung zu erfahren. Egal wie weit der Weg dahin ist.