An meinem 28. Geburtstag trank ich keinen Tropfen Alkohol. Einerseits war mein Verhältnis zum Alkohol nach den ganzen langen Pandemiemonaten inzwischen tendenziell eher angespannt, andererseits hatte ich einen Impftermin am folgenden Tag erwischt und ich wollte, dass mein Körper extra ready für den Impfsaft ist.
In der Stadt Bern war alles ausgebucht gewesen, nur im Jura und in Interlaken hatte es noch freie Termine gegeben. Weil mir ins Jura fahren doch eher nach Impftourismus schien, entschied ich mich für Interlaken. Also fuhr ich am Tag nach meinem Geburtstag am Thunersee entlang nach Interlaken und ging dann zu Fuss richtung Impfzentrum, das bald in der Ferne zu erkennen war: Unübersehbar ragen die monumentalen Pyramidenbauten am Rand von Interlaken hoch und genau dort, hinter den Pyramiden des vor Jahren geschlossenen Mystery Parks, befindet sich das Impfzentrum Interlaken.
Ein Impfzentrum auf dem Gelände von Erich Von Dänikens Mystery Park ist doch peak 2021, besser kann es nicht mehr werden, dachte ich, als ich draussen auf dem Parkplatz im Nieselregen stand, vor mir die grauen Pyramiden in grauem Frühlingswetter, hinter mir die Berge, die in die Höhe schossen und in den Wolken verschwanden. Drinnen war ich schneller geimpft, als dass ich denken konnte und sass dann die obligatorischen 15 Minuten auf einem Plastikstuhl in meiner Wartebucht ab. Nachdem ich mehrere Male versuchte, mein Phone aufzustarten und es ständig wieder abgestürzt war, war die Viertelstunde um und ich durfte gehen. Ich spazierte noch etwas um den Mystery Park herum, von nahem waren die Pyramiden weniger monumental und ausserdem ziemlich heruntergekommen. Die Eternitplatten hatten ein schmutziges Grau angenommen und rundherum weideten lethargisch ein paar Schafe.
Zwei Tage später schleppte ich mich durch den Morgen, am Mittag vorbei, und weiter durch den Nachmittag, erschlagen, als hätte mich ein Alien zu Boden geboxt, im Mystery Park in Interlaken. Und auch mein Oberarm fühlte sich an, als hätte sich da ein Alien ausgetobt, im Mystery Park in Interlaken. Vielleicht haben die mir auch direkt ein Alien reingespritzt, das mich jetzt von innen auffrisst, im Mystery Park in Interlaken, dachte ich müde in meinem von den Impfnebenwirkungen vernebelten Kopf.
Am späteren Nachmittag stand ich in der Küche, stocherte in einem Glas Zitronen herum und schüttete immer wieder Unmengen an Salz hinzu. Jemand streamte meine Fermentierungstätigkeit live in den Discordserver meines Vertrauens, als es klingelte und einer wegen des einen freien Zimmers in unserer Wohnung vorbeikam. Die Situation war leicht awkward, wie es WG-Castings immer sind, die Hälfte der anwesenden Personen waren wegen Impfnebenwirkungen noch zusätzlich etwas mehr awkward. Ich scherzte, dass die Copingstrategie von lost Millennials nach einem Jahr Pandemie von Bananenbrot über Sauerteig zu Kombucha inzwischen bei fermentierten Zitronen angelangt war. Mein potentiell zukünftiger Mitbewohner lachte etwas awkward mit, schaute sich die Wohnung an und sagte, er würde es sich überlegen. Ein paar Tage später schrieb er, dass er nicht am Zimmer interessiert sei. Die Zitronen fermentierten inzwischen in einer Ecke vor sich hin und die Impfnebenwirkungen hatten sich verflüchtigt. Das Alien, das sie mir reingespritzt hatten, im Mystery Park Interlaken, schien es sich in mir bequem gemacht zu haben.