Zürich war für mich nie mehr als ein Verkehrsknotenpunkt zwischen Bern und dem Appenzeller Hinterland. Sieben Jahre bin ich in Zürich umgestiegen. Ausgestiegen bin ich ganz selten und eigentlich nur, wenn ich dafür bezahlt wurde, also wenn ich in einem coolen Zürcher Szene-Lokal eine Lesung hatte oder ein Konzert spielte.

Als ich das erste Mal mit einem provokativen Text viral ging, fand man das in Bern wenig aufregend, im Appenzell bekam man davon sowieso nichts mit, aber in der Medienmetropole Zürich waren sie richtig hyped. Zürcher Medienleute sagten mir, ich müsse nach Zürich kommen, um mein Talent auszuschöpfen und sie luden mich zum Kaffee auf die Redaktionen ein und das alles klang, als wären die Mythen tatsächlich wahr und die Zürcher Strassen mit einer aufregenden Gold-Kokain-Mischung gepflastert. Aber ich ignorierte die Angebote und erst nach sieben Jahren Umsteigen stieg ich aus, um zwei Wochen in Zürich zu verbringen, da ich mich auf ein Engagement an einer Theaterinstitution eingelassen hatte.

Ich hätte zwar lieber Ferien am Mittelmeer gehabt, aber jetzt hatte ich halt ein Engagement in Zürich. Ich wohnte in einer Wohnung beim Limmatplatz, die ich mit zwei Theaterschaffenden teilte, die den ganzen Tag kifften und arbeiteten. Nur manchmal kifften und arbeiteten sie nicht, sondern nahmen LSD. Nach drei Tagen war ich bereits broke und also verbrachte ich meine Freizeit mit Spaziergängen. Als ich eines Nachmittags dem Wasser nach spazierte, kam ich zum Bürkliplatz. Es waren inzwischen zehn Tag vergangen, in denen ich komplett ausgeblendet hatte, dass diese Stadt ja an einem See lag und so stand ich überrascht am Zürichsee und staunte. Die Sonne schien und eben legte ein Schiff an und weil ich in meinem Leben bis jetzt so selten Seen gesehen habe – nur manchmal den Bodensee, aber den fand ich schon als Kind sehr langweilig –und noch viel seltener Schiff fuhr, bin ich jeweils komplett hyped, wenn ich sowas sehe. Also ging ich Schifffahren, die kleine Rundfahrt, eineinhalb Stunden. Ich stand an der Reeling, schaute zu, wie die Schweizerfahne im Wind flatterte und das Wasser von der Schiffsschraube Spuren zog, während der Bürkliplatz rasch verschwand. Dann trank ich einen Kaffee im Bordrestaurant.

Eine Stadt, von der man nur den Bahnhof kennt, weil man sie sonst immer gemieden hat, eignet sich gut um die Wahrnehmungsgewohnheiten etwas aufzubrechen. Alles ist etwas anders. Der Rhythmus ist anders, die Geschäftigkeit, der Style, die Geräusche, die Matches auf Tinder, auch wenn mir in Zürich immer noch vor allem die Boomer-Boys Superlikes gönnten. Einer lud mich zu «einer gesitteten Nudelsuppe der reinen Sympathie» ein und ein Szene-Rapper bot mir an, zusammen einen coolen Szene-Rap-Song zu produzieren. Ich lehnte ab und hielt mich an die wenigen Zürcher Connections, die ich sowieso schon hatte. Millennial-Boys mit Yuppie-Wohnungen oder Ateliers an der Langstrasse, C-Prominenz der Zürcher Szene. Ich bekam den Eindruck, dass in Zürich alle irgendwie C-Prominenz sind, dass man da bereits C-Prominenz ist, wenn man in einer angesagten Bar arbeitet oder nur oft genug komplett verballert in irgendwelchen Backstages rumhängt.

Am meisten flashten mich dann aber doch die Spaziergänge, denn die Strassen sind in Zürich natürlich nicht mit einer aufregenden Gold-Kokain-Mischung gepflastert, sondern wie sonst überall auch bedeckt mit Taubenscheisse und Spucke. So spazierte ich gedankenverloren an der Limmat oder Sihl entlang und schaute Schwänen und Mittelschicht-Kids in Kajaks zu. Am Tag meiner Abreise packte ich meine Sachen und fuhr mit dem Tram zum Bürkliplatz, um noch ein letztes Mal die kleine Rundfahrt auf dem See zu machen, an der Reeling zu stehen und zuzuschauen wie die Schweizerfahne im Wind flatterte und das Wasser von der Schiffsschraube Spuren zog. Aber als ich ankam, legte das Schiff gerade ab und liess mich am Ufer stehen. Ich blickte ihm enttäuscht nach, wie es sich rasch Richtung Goldküste entfernte und dann verschwand.