In Bern wurden die Clubs bereits im Oktober geschlossen. Seither sitze ich Zuhause im 15m² Zimmer, in dem ich lebe und arbeite, wo ich mich nach vier Jahren noch immer nicht um optimale Lichtverhältnisse bemüht habe und einen Kleiderschrank habe ich auch keinen. Die wenigen Kleidungsstücke, die ich besitze, liegen in einer schummrigen Ecke in verschiedenen Kisten oder auf Haufen. Manchmal sitze ich auch im Zug und fahre in eine andere Stadt, um in einem ähnlichen Zimmer zu sitzen, das nicht meins ist. Dann starre ich die Wand an und frage mich, warum ich immer noch nicht systemrelevant bin.

Während dieser Zeit hätte es Möglichkeiten gegeben, ein der Situation angepasstes Ausgehverhalten zu etablieren, sich in irgendwelchen Küchen zu betrinken und Speed ziehen oder an kleinere Raves im knapp illegalen Rahmen zu gehen, wo vielleicht sogar eine oder zwei Personen gewesen wären, die man nicht oder kaum kennt. Aber ich hatte keine Lust auf sowas und sogar an Silvester bin ich um elf ins Bett. So sind vier oder fünf Monate vergangen, ohne dass ich einen Kontext erlebt hatte, der irgendwie an die präpandemische Ausgehkultur erinnert hätte.

An einem der ersten Frühlingssamstage landete ich dann doch an einem kleinen Rave. Wir waren etwas über der erlaubten Personenanzahl und ich kannte nur die DJ, deren Begleitung ich war. Während sie ihr Set spielte, sass ich in einer schummrigen Ecke, rauchte eine selbstgedrehte Zigarette nach der anderen, betrank mich mit Dosenbier und sprach mit niemandem ein Wort. Die anderen Anwesenden unterhielten sich, sprangen hin und wieder auf, wenn ihnen ein Track besonders gefiel, verhielten sich also wie normale Menschen sich in solchen Situationen verhielten. Ich versuchte derweilen in meiner Ecke entspannt und cool zu wirken und mir den Stress, der mir meine soziale Unzulänglichkeit bereitete, nicht anmerken zu lassen. Erst nach dem zweiten oder dritten Bier hatte ich mich langsam damit abgefunden, dass ich schon lange vor der Pandemie verlernt hatte, mich ohne irgendeine Aufgabe im Nachtleben zu bewegen.

Am wohlsten fühle ich mich im Nachtleben hinter der Garderobe oder Bar, Hauptsache da ist ein physisches Hindernis zwischen mir und jenen Menschen, die zum reinen Vergnügen dort sind. Am liebsten halte ich mich primär in Kühlzellen oder Getränkelagern auf. Das bedeutet zwar Kisten schleppen und Verantwortung tragen, aber auch Typen ignorieren, die mit Geldnoten in meine Richtung winken. Im Backstage bin ich auch ganz gerne, lieber nach als vor einem Auftritt, wenn sich die Nervosität aufgelöst hat. Ich mag es sogar als Entourage eines Boys in einem Club zu sein. Dann habe ich zwar keine aktive Aufgabe, aber ich brauche nur etwas sublim und musenhaft rumzustehen und zu rauchen und allen ist klar, dass ich die Freundin des Boys auf der Bühne bin. Wenn ich aber überhaupt keine Aufgabe habe, dann wird’s stressig. Dann sitze ich in der Ecke, rauche eine selbstgedrehte Zigarette nach der anderen und versuche entspannt und cool auszusehen, während ich mir viel zu viele Gedanken über meine soziale Inkompetenz und Rolle mache.

Irgendwann war ich aber an jenem Frühlingssamstag im zweiten Lockdown sowieso so betrunken, dass mir das alles egal war. Am nächsten Tag bemerkte ich, dass ich irl der Typ von diesem «they don’t know» Meme war, der an einer Party in der Ecke steht, während andere tanzen. Wäre mir das direkt in jener Situation aufgefallen, wäre mein Stress vielleicht verflogen. Dann hätte ich mir einfach diese Rolle aneignen und der Typ von diesem Meme sein können, in mich hineinlachen und denken: «They don’t know, dass ich der Typ von diesem they don’t know Meme bin.»