von Michal Stricker

Ein Aufstieg, den sie sich verdienen will: Melday hat ihre zweite EP «All I wanna do is climb» veröffentlicht und wagt darauf vermehrt das musikalische Experiment. Wir haben uns mit der Sängerin aus Widen über ihren künstlerischen Prozess unterhalten und ob sie jede persönliche Krise in Songform giesst.

Zuerst: Wie geht es dir heute? Findest du spezifisch den Release-Tag speziell oder bist du vielleicht schon seit längerem aufgeregt?
Heute finde ich schon speziell – schon krass. Es hat bereits gestern angefangen, spürbar zu werden, da war ich nämlich beim SRF für die Premiere. Logisch, wenn ich einfach Zuhause im Bett gesessen hätte, dann wäre das Gefühl anders, vielleicht noch nicht so nervös. Aber gestern war ich wirklich im Studio, meine neue Musik lief laut – und ich dachte: «Oh wow, das passiert jetzt». Ich habe unglaublich Freude und heute ist auch ein super Tag. Aber ich glaube, die richtige Realisation geschieht gar nicht am eigentlichen Release-Datum, sondern vielleicht am Tag danach. Erst dann sehe ich ja die Reaktionen der Menschen. Ich glaube ab heute wird es laut!

Laut wird es bestimmt. Zum Titel deiner EP: «All I wanna do is climb». In einer Erläuterung beschreibst du, dass du aus deinem Zimmer hoch hinauskletterst. Sonst kennt man vielleicht eher das Sinnbild des Fliegens. Was hat es denn mit dem Klettern auf sich?
Fliegen kann man schon irgendwie so ein bisschen mit dem Klettern gleichsetzen – und trotzdem nicht. Klettern ist anstrengend, man braucht richtig viel Energie und Kraft. Es braucht auch Mut, so in die Höhe zu klettern. Es besteht ein Risiko – man könnte herunterfallen. Das passt zum Prozess und meiner Empfindung während der Entstehung dieser EP. Ich möchte nicht bloss ausfliegen und geniessen. Ich möchte nach oben und nach vorne sehen, weiterkommen in meinem Leben. Dafür will ich mich auch so richtig ins Zeug legen – denn wie oft sind die Dinge, die sich wirklich gelohnt haben, nur durch Fleiss und Schweiss erreicht worden? Sich an etwas festhalten, durch die Höhen und Tiefen durchbeissen, das ist eher mein Ding.

Auf dieser EP bringst du auch zum ersten Mal etwas eher Leichtes und Schönes heraus. Kommt diese Seite von dir jetzt zum Vorschein, weil es dir zurzeit besonders gut geht? Oder gab es keinen konkreten Auslöser dafür?
Ich denke meine besten Songs, oder die Songs, die ich gerne schreibe und sich einfach schreiben lassen, waren immer traurig. In meiner Debüt-EP «Stand or Fall» hatte ich persönlich etwas aufzuarbeiten. Ich hatte das Bedürfnis, über meine Vergangenheit zu schreiben, um dann weiterziehen zu können. Bei dieser EP war das nicht der Fall. Es ging mir tatsächlich auch besser. Mein mentaler Zustand war anders – ich habe mich wirklich gut gefühlt in meiner Haut. Es fühlt sich an, als wäre ich als Mensch auch leichter geworden. In der Zeit zwischen den beiden EPs habe ich an mir selbst gearbeitet. Dieser Prozess findet sich wieder; wie gesagt im Titel, in den Songs, auf der gesamten EP. Geplant war es keineswegs, es hat sich so ergeben.

Dafür, dass es sich einfach so ergeben hat, klingt es ziemlich perfektioniert. Ich bekomme den Eindruck, dass du «leise bleibst» bis du ausgefeilte neue Musik zu präsentieren hast, anstatt einfach mal zu teilen. Ist es deine Absicht, dein Publikum zu überraschen?
Ich glaube, ich bin Fan von dieser reduzierten Art. Lieber weniger, dafür gut. Es fällt mir manchmal schwer, etwas noch nicht herauszugeben – nicht zu zeigen. Die Songs, die mir schlussendlich am besten gefallen, sind jedoch wirklich diejenigen, an denen ich fast verzweifelt bin während der Produktion. Es war teilweise ein richtiger Kampf – das ist aber nicht negativ zu verstehen. Manchmal habe ich einfach diese Blockade und als Musikerin hängt das dann oft mit mir selbst zusammen. Für mich gibt es keine «musikalischen» Blockaden, irgendwie hat es immer etwas mit mir, meinem Körper oder meiner Seele zu tun. Oft musste ich also Knoten in mir selbst lösen, um dann an einem Song weiterarbeiten zu können.

Der Song «Cold Floor», der doch noch etwas düster ist, soll entstanden sein, kurz nachdem du wirklich einen dieser gefühlsgeladenen überfordernden Momente gehabt hast – auf dem kalten Boden. Wie können wir uns das vorstellen, in einem Moment bist du völlig überrumpelt und im nächsten schreibst du einen klasse Song darüber? Spürst du schon während einer solchen Krise deren musikalisches Potenzial?
Ja, das schon. Aber ich denke nicht unbedingt: «Woah das chönnti jetzt en huere geile Song werde». Es gibt zwar nicht viele dieser Momente, aber manchmal muss ich wirklich direkt nach Hause, hoffe da liegt noch Papier und Stift, damit ich gleich loslegen kann. Dann brenne ich so richtig darauf, etwas rauszulassen. Bei «Cold Floor» habe ich mich ans Piano gesessen und es tat einfach gut, diese Gefühle zuzulassen. Ich hatte diese Scheibe vor mir, es ging mir nicht schlecht – ich habe mich einfach leer und verloren gefühlt, als würde alles an mir abperlen. In diesen blockierten Momenten hilft es mir sehr, kurz aus meiner Komfortzone herauszusteigen, ans Piano zu sitzen und etwas zu probieren. Ich habe nämlich, selbst wenn es sich manchmal nicht so anfühlt, auch in solchen Momenten meine Stimme. Der Song «Cold Floor» hat von Anfang an gestimmt. Er entstand auf diese natürliche Art und Weise aus echten Gefühlen. Genau die Emotionen aus dieser Gefühlslage sind im Song wieder zu finden. Im Vergleich zu anderen Liedern, an denen wir vielleicht ein halbes Jahr gearbeitet haben, blieb «Cold Floor» von da an fast unverändert.

Das kann man heraushören, diese Ehrlichkeit. Du schreibst deine Lieder und bist auch sonst ziemlich selbstständig unterwegs, stimmt das?
Genau, die Struktur mache ich immer alleine Zuhause. Mit den Chords und meiner Idee erreiche ich dann den Produzenten. Zu diesem Zeitpunkt habe ich meistens noch nicht den ganzen Text, aber gewisse Fetzen und Ideen. Es variiert, wie gesagt: An «Cold Floor» wurde fast gar nichts geändert. Bei anderen Songs war es eine lange Entstehungsgeschichte mit einer intensiven Bastelei. Das ist eine ganz andere Art von Arbeit. Das wollte ich in dieser EP aber so. Der Feinschliff war mir wichtig. Ich wollte mir Zeit lassen und auf Details hören. So habe ich mir die Songs Stunden und Tage, Wochen lang angehört – dann eine Weile nicht und dann wieder. Ich war extrem selbstkritisch und bin jetzt rückblickend sehr froh darum. Dazu gehörten aber auch viele Downs, zu Zeiten, wo die Songs einfach wirklich nicht bereit waren.

Deine EP ist auch sehr vielseitig. In einem Song ist deine Stimme klar und hell, in einem anderen tanzen wir zu Trapbeats. Suchst du noch deinen Stil oder woher kommt diese Kombination?
Es ist eine Suche, das stimmt. Ich hatte Lust, auszuprobieren, was das Zeug hält. Mit getunten Stimmen und was nicht; vor ein, zwei Jahren hätte man mich damit jagen können. Auch mit Trapbeats habe ich kaum etwas am Hut – aber ich habe mir diese Fusion toll vorgestellt. Leute fragen mich: «Was macht denn d’Melday so für Musig?», und ich bestimme das nach zwei so kurzen Jahren schon. Dabei kann ich so was doch noch gar nicht sagen, weil ich nicht genug ausprobiert habe. Mit diesen Kombinationen wollte ich etwas riskieren. Es hätte auch schlecht daherkommen können. Ich stand oft im Studio und hatte wirklich Angst, dass es vielleicht doof klingen wird. Normalerweise mache ich Sachen gerne «richtig». Davon loszulassen, bereitete mir Mühe. Dieses Lockere «Wird schon easy sein» musste ich üben. Ich hatte Bock, mit der Musik zu spielen, nicht strikt nach Struktur zu kreieren. So wurde zum Beispiel auch ein Song kurz, ein Song lange – im Vergleich zu den Standard-3-Minuten. Ich wollte mich nicht bloss innerhalb der Normen bewegen. Zurzeit sind noch nicht so viele Augen auf mich gerichtet und ich habe die Chance, vielleicht noch mehr als später, einfach zu probieren und das zu finden, worauf ich wirklich Lust habe. In meiner Musik habe ich bisher den «Edge» vermisst. Ich finde die Songs wirklich schön, aber das Freche hat gefehlt. Das Gewagte.

«Das, wo viellicht nöd jede cool findet. Aber die wo’s cool finded, findeds mega mega cool!»

Ich wollte mich auch noch vielmehr heraushören aus den Songs, nicht nur stimmlich, sondern meine Charakterzüge, meine Gedanken, meinen Klang. Ich wollte nicht, dass alles clean und schön klingt, sondern ich wollte «Raspiness». Dass vielleicht irgendwo ein schräger Ton drinsteckt – weil eigentlich ist das ja irgendwie doch noch cool. Ich habe mich in dieses spielerische Musizieren gewagt. Wollte mich weder festlegen noch limitieren lassen von den klassischen Songwriting-Elementen. Teilweise war diese Freiheit angsteinflössend, man kann sich nämlich an Nichts mehr festhalten. Dennoch hat es mir wirklich gutgetan, auch als Mensch. Ich habe realisiert, dass es egal ist, was die Leute denken, weil ich einfach das gemacht habe, was ich wollte. Ich habe mir selbst wirklich viel Druck abnehmen können.

Dafür steht diese EP: Manchmal platzieren wir uns selbst in diesem kleinen Zimmerchen, obwohl wir eigentlich viel mehr Platz hätten. Wir reden uns selbst ein, nur da reinzupassen und rauben uns den Freiraum. Ich habe versucht, dieses Verhalten abzulegen, bisschen wilder und riskanter zu handeln. Einfach mal loslegen.