von Christian K.L. Fischer

Ganz schön viel Zeit vergangen. Was man oft erst dann merkt, wenn sich runde Geburtstage nähern – zum Beispiel auch bei Joe Principe, der sich schon mal an den Gedanken gewöhnt, in zwei Jahren 50 zu werden. Wobei die Zahl für den Bassisten und seine kaum jüngeren Bandkollegen von Rise Against nicht viel bedeutet – das Alter ist keine grosse Sache in ihrem Leben. Wenn, dann gewinnen sie nur mehr Klarheit. „Während Corona merkte ich, was das Touren für eine wichtige Sache für mich ist. Ich liebe es! Es ist, abgesehen vom Skateboarden, mein einziger Selbstausdruck. Deswegen machen wir es auch heute noch mit der gleichen Leidenschaft wie schon immer.“ Nicht, dass sich Dinge nicht ändern – oder gar ändern sollen. „Je älter die Band wird, desto öfter fragen wir uns, wie wir neue Horizonte erreichen, ohne die Wurzeln zu verleugnen.“

Deep Cuts incoming

Diese Wurzeln sind und bleiben Punkrock und Hardcore, und werden gerade für die grosse Europatour vorbereitet und geprobt. Wobei Joe, Frontmann Tim McIlrath sowie Drummer Brandon Barnes und Gitarrist Zach Blair sich eine Menge Gedanken um die Setlist machen. „Wir diskutieren gerade mehr Deep Cuts mehr zu spielen. Wir haben unsere Standards, aber wir glauben, wir können uns ein bisschen davon befreien.“ Sie haben ja einen umfangreichen Katalog – zehn Alben in über zwanzig Jahren – und ein Publikum, dass nicht nur auf Singles und Hits fokussiert ist. „Die wollen sowieso diese Deep Cuts hören. Sie sind es ja auch, die uns an Songs erinnern, die wir selbst fast vergessen haben“, lacht Joe. „Ich freue mich darauf, viele von den alten Sachen zu spielen. Wir sollten unsere ganzen Platten feiern.“

Punk Rock Therapy

Und das gerade in Zeiten wie diesen. „Punk Rock soll Veränderung inspirieren. Die Welt kann sehr düster sein und es ist hart, sich ihr zu stellen. Unsere Lieder arbeiten das ab, dieses echte Leben. Es ist wie Therapie und hilft Menschen dabei, damit umzugehen. Bei mir war es ja auch so – die Bad Brains und Bad Religion haben mir dabei geholfen, mit dem Leben klar zu kommen.“ Es wird deshalb immer der Old School Punk Rock für ihn bleiben, wenn er sich den Abgründen des Daseins stellt – aber nicht nur: „Ich fühle mich auch zu 80er-Pop und New Wave hingezogen, wie zu The Cure und Echo and the Bunnymen, Police und Elvis Costello … Ich fühlte mich nie von Arena-Rock angesprochen, es ging immer um den Untergrund. Ich stimmte halt nie mit dem Mainstream überein – es musste einen besseren Weg geben.“ Deshalb predigt er auch seinen Kindern, dass sie sich nicht anpassen müssen. „Sie sollen nur offen sein …“

Zusammen im Chaos

Wobei er sich durchaus bewusst ist, dass Rise Against mittlerweile viele Menschen beeinflussen, für die diese Band der ganz persönliche Mainstream ist. Ihre Fans sind treu und nah. „Wir fühlen uns auf Augenhöhe mit ihnen. Wir sind zusammen in diesem Chaos – und wir wollen alle eine bessere Welt. Raise Against stellen einfach nur die wichtigen Fragen. Wir wissen nicht alles, aber tun was wir können.“ Doch irgendwann stellt man fest, wie schwer es ist, Gesetze und Gedanken zu verändern. „Es gibt so viel Gier und es steckt soviel Macht hinter der Gier. Aber man sollte nicht aufgeben.“ Auch wenn es manchmal schwer fällt, sich all den Entwicklungen in der Welt zu stellen. „Man muss mentalen Urlaub machen, sonst kann es dein Leben übernehmen.“ Genau das macht ein Raise Against Konzert zu dem Ort, an dem man sich gleichzeitig mit allem konfrontieren kann und es dennoch auch vergessen darf: Das Moshpit ist, was du daraus machst.

Rise Against spielen am 3. November in der Halle 622, Zürich. HIER gibt es Tickets.