von Nadine Wenzlick
Selten hat einfach zu existieren so viel Nerven und Kraft gekostet wie im letzten Jahr. Alle Welt ist fix und alle, und jeder schleppt sich mühsam in Richtung einer Ziellinie, von der immer noch niemand genau weiss, wann wir sie erreichen werden. Und dann hört man plötzlich das neue Album von Royal Blood und fragt sich fassungslos, woher Bob Thatcher und Mike Kerr bitte die Energie genommen haben, um diese Art von treibendem Rock zwischen technoiden Vierviertel-Rhythmus und verzerrten Sounds aufzunehmen, zwischen Electroclub und Moshpit? «Einiges hatten wir schon im März angefangen» erklärt Bob, «und wir waren auf einem guten Weg – bis wir gezwungen waren, auch nach Hause zu gehen und alles auszusitzen.» Aber genau das tat «Typhoons» richtig gut, denn Mike blieb in dieser Zeit nichts anderes zu tun, als einfach weiterzuschreiben, ohne Druck und praktisch nur zum eigenen Vergnügen – aus reiner Lust am Kreieren. Das wurde zur der Phase, in der erst die entscheidenden Tracks des Album entstanden, wie zum Beispiel der Titelsong (und zweite Single) oder «Limbo». «Als wir wieder aufnehmen konnten, hatten wir diese grossen Lieder. Die Energie dafür kam wirklich durch die Pause.»
Zwischen Ekstase und Introspektive
Das führte zu diesem brutal tanzbaren Rock, der dank des verzerrten Basses ziemlich an die extremen Tracks von Justice erinnern kann: Der Sound ist voll von Ekstase. Um so interessanter, dass die Themen der Lieder hingegen sehr introspektiv sind. «Ja, die Musik ist positiv und intensiv, die Lyrics würden da normalerweise von Partys oder so handeln … Aber das bot uns genau deswegen die Gelegenheit, etwas dunkler zu werden. Wir konnten diese Texte nehmen, ohne dass die Musik offensichtlich dazu passen musste, denn diese Musik hätte die Menschen dann ziemlich runter gezogen.»
Bis auf drei Tracks haben die beiden übrigens alle Songs selbst produziert (bei einem half dann aber kein geringerer als Josh Homme von Queens Of The Stone Age). Bob gesteht: «Wir haben es immer schwierig gefunden, mit andern Produzenten zu arbeiten.» Die beiden sind schon so lange zusammen unterwegs, dass kein Aussenstehender wirklich mehr zu ihnen passt, stellt er fest. Da nehmen sie diese Verantwortung einfach noch mit auf die Schultern. «Wir wussten auch genau, was wir tun wollten. Wir haben das mit voller Autorität gemacht. Und wir denken, es klingt grossartig.»
Alte Dämonen vertrieben, Tracks neu aufgenommen
Nicht nur sie mögen ihren Sound. Denn einer wie El-P von Run The Jewels würde ja nun wirklich nicht mit jedem zusammenarbeiten, und doch hat er letztes Jahr mit Royal Blood einfach nochmal «The Ground Below» vom «RTJ4»-Album neu aufgenommen. «Wir kennen El-P gut, wir sind Freunde. Die Leute sagten immer schon, wir sollten etwas zusammen machen. Und während des Lockdowns haben wir einfach den Song neu eingespielt.» Also kein grosses Ding offensichtlich. Ebenso wenig, wie dass es seit kurzen auch den ersten richtigen Remix von einem ihrer Songs gibt: Purple Disco Machine haben aus «Trouble‘s Coming» (der erste Single von «Typhoons») mal eben einen House Track geformt.
Und dann gibt es da noch einen Grund zum Feiern: Mike lebt seit über zwei Jahren ohne Drogen – inklusive (bzw. exklusive) Alkohol. «Aber ich trinke gerade ein Bier», lacht Ben, «es ist Freitagabend!» Mike jedoch hatte keine gute Beziehung zu Drogen, stellt er fest. «Dass er jetzt nüchtern lebt, ist gut für ihn und die Band. Ich habe diesen Dämon Gott sei Dank nicht, ich nehme gerne einen Drink. Es geht bei mir um das Geniessen des Lebens. Aber wenn du dabei zu jemanden wirst, der du nicht sein willst … das sind zwei Welten.» Es geht ihnen also ziemlich gut, den Jungs von Royal Blood. Nur eines fehlt ihnen wirklich – aber daran, dass sie nicht auftreten können, können sie zur Zeit eben nichts ändern. Was das angeht, kriechen sie letztlich also auch nur mit uns zusammen auf diese Ziellinie hinter dem Horizont zu.