von Christian K.L. Fischer

Man kann ja vieles über „Soloalbum“, das Debüt von Benjamin von Stuckrad-Barre sagen, aber nicht, dass es ein guter Roman war. Stilistisch aus der Hüfte geschossen gab es keinen wahrnehmbaren Plot, keine interessanten Handlungsbögen oder eine sinnvolle Struktur, dafür viele Seiten lang das Liebesklagen eines zu alt gewordenen Teenagers mit einer Einstellung, die ständiges Mitleid mit dem armen Protagonisten und Musikjournalisten erwartete (der ziemlich unverschleiert bestenfalls einen Schritt vom Autor entfernt war). Und über alldem schwebt eine verklärte Verehrung von Oasis, die an Heiligenkult grenzte.

Ziellos zum Erfolg

Aber so wie Punk nur drei Akkorde und eine pampige Grundstellung braucht, hat das Buch, das 1998 erschien, genau deshalb einen Nerv getroffen. Denn Stuckrad-Barres ganze Generation war so drauf: alles Slacker der Generation X, die durch ihre 20er und die 90er taumelten, ohne echte Ziele, ohne Motivation oder einen Sinn, leidend an sich selbst und dabei immer irgendeiner Band fanatisch folgend, ob nun Nine Inch Nails oder den Smashing Pumpkins, Radiohead oder Pearl Jam oder eben Blur oder Oasis. Dass er aufgrund guter Kontakte bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen konnte und somit auch die richtige Promomacht im Rücken hatte, war da nur entscheidende Glücksfall. Nichts an dem Erfolg des Buches wirkte also, als würde sich darauf eine Karriere als Schriftsteller aufbauen lassen – aber eigentlich hat er das auch gar nicht versucht.

Don’t call it Influencer

Denn vor allem zeigte sich Benjamin von Stuckrad-Barre als eine charismatische Rampensau und so wurde er konsequenterweise in den folgenden Jahren ein Popstar des Feuilletons und der deutschen Medienlandschaft überhaupt. Ein Influencer für das MTV- meets Kulturzeit-Publikum, lange bevor es das Konzept Influencer überhaupt gab. So waren seine Lesungen keine hochkulturell verklemmten Veranstaltungen, er arbeitete für Harald Schmidt, wurde Produktmanager bei Motor Music und er tauchte an jeder Ecke als freier Autor auf. Stuckrad-Barre war immer präsent und wollte immer präsent sein, was ihn auf eine Art authentisch machte, die bis ins Fernsehen führte, ob zu „Stuckrad bei den Schweizern“ für das Schweizer Fernsehen oder später bis zu seiner eigenen Late Night Show bei ZDFneo. Er wurde und ist ein medienübergreifender Entertainer.

Gesamtkunstwerk mit Panikherz

Schon Jahre zuvor hatte er dabei seine Drogensucht und seinen Kampf gegen diese Abhängigkeit öffentlich gemacht und sich für eine Dokumentation sogar in seinen tiefsten Augenblicken begleiten und filmen lassen. Brutal ehrlich war dann auch sein erst 2016 erschienener autobiographischer zweiter Roman „Panikherz“, in dessen Zentrum sich dieser Kampf, seine Ursachen und seine Echos befinden. Spätestens mit dieser Veröffentlichung konnte man Benjamin von Stuckrad-Barre dann ein bisschen auch als sein eigenes Gesamtkunstwerk betrachten, in dem das Autorensein nur einen kleinen Teil darstellt.

Plaudern mit Suter

So ist auch das neuste Buch „Alle sind so ernst geworden“, dass zusammen mit Martin Suter entstand, kein Roman, sondern eine Sammlung von Gesprächen zwischen den beiden, in denen sie sich so bunten Themen wie Badehosen, Glitzer, Hochzeiten, LSD, Madonna oder Siri widmen. Dem Leben in seiner modernen Gänze also. Man kann aber davon ausgehen, dass sie bei ihrem Auftritt am 21. September 2021 im Volkshaus Zürich noch viele andere Themen finden und dass sie sich und das Publikum mit ihren Gedanken selbst überraschen werden. „Die beiden können’s einfach“, wie Hazel Brugger so schön sagte. Es gibt nun einmal viel zu erzählen, vor allem, wenn man selbst im Zentrum stehen darf.