von Michal Stricker
Sensu veröffentlicht in Form ihrer neuen EP «Numéro LDN» alles, was London für sie ist. Die Badener Electroproduzentin war drei Monate lang in der Grossstadt unterwegs, in abgekratzten und in teuren Studios wurden fleissig Impressionen abgemischt. Keine vierundzwanzig Stunden nach Release und eine halbe Stunde vor ihrem Auftritt am Zürcher Quartierfest Europaallee erzählt Sensu zwischen Bahnhofsgleisen und Google-Bürogebäude, was es mit ihrer Faszination für London auf sich hat und wie ihre Musik langsam aber sicher aus unserer kleinen Schweiz herauswächst.
Gestern ist deine neue EP rausgekommen und heute ist das erste Konzert nach dem Release. Bist du aufgeregt?
Jetzt gerade noch nicht, es kommt wahrscheinlich noch. Wenn ich so übermüdet bin, dann kommts meistens gerade im blödesten Moment, Fünf Minuten bevor ich auf die Bühne steige – oder sogar erst während ich auf die Bühne steige. Dann bekomm ich so zittrige Hände. Wenn ich in kleinen Venues auftrete, krieg ich manchmal gesagt: «Ich ha denn scho gseh, wie dini Hand zitteret het.» Also könnte schon noch sein, dass das heute auch passiert. Aber es ist okay, das brauchts!
Hier in Zürich, ist das für dich sowas wie ein Auftritt zu Hause? Ist ja nicht ganz Baden, aber nahe dran.
Mhm. Es ist nicht zu Hause, aber ich habe hier schon ein paar Mal gespielt und es war immer schön. Ich glaube auch, weil die Menschen hier meine Musik verstehen. An solchen Festen bleibt aber immer die Frage, ob die Leute überhaupt wirklich in Konzertstimmung sind. Schön ist es dennoch immer. Man erreicht wieder ein oder zwei neue Gesichter mit der Musik. Nur schon dafür lohnt es sich – immer!
Zürich ist aber nicht London – wir schmunzeln beide. Deine EP ist aber in und dank London entstanden. Wie kommst du gerade zu dieser Stadt?
London gibt mir sehr viel Inspiration. Auf meiner alten EP «Inner Monologue» ist ein Song namens «Outspoken». Den habe ich in London aufgenommen. Als ich ein Wochenende da war, wusste ich irgendwie: Ich muss unbedingt wiederkommen. Es hat mich so inspiriert, dass ein grosses Verlangen entstand, einmal länger dazubleiben. So kam ich zu meinem dreimonatigen Aufenthalt.
Während dieser drei Monate in London hast du dich da nur inspirieren lassen oder auch bereits an der neuen EP gearbeitet?
Ich habe während der Zeit produziert, also die Demos erstellt. Natürlich: das Finalisieren sorgte dann zu Hause auch nochmals für etwas Arbeit. Ich sag mal so: die Grundidee und die Richtung vom Sound sind schon da entstanden.
Zu Hause bedeutet in diesem Kontext? Also du bist ja Produzentin. Das ist etwas ganz anderes als Sängerin zum Beispiel. Wie kann man sich das vorstellen, auch wenn du auftrittst – ist das «Out of your comfort-studio-zone» oder machst du das gerne?
Ich mache es gerne. Aber genau so gerne bin ich alleine im Homestudio. Etwas Kreatives machen, neue Songs produzieren. Das live Spielen wird immer besser, im Sinne von: Ich bin nicht einfach alleine und bastle irgendwas herum. Sondern ich weiss immer mehr, was ich will. Mittlerweile habe ich auch so bisschen meine Leute mit dabei. An fast allen Auftritten trete ich mit Taylor auf, sie singt und übernimmt die Vocals bei gewissen Songs. Seit neustem habe ich auch einen Lichttechniker, der ab und an mitkommt. So kann man die Erfahrungen teilen. Am Anfang war ich oft alleine unterwegs, oder auch alleine auf der Bühne, und das ist schon anders – auch cool, aber anders.
In deiner Musik hört man deine Stimme kaum. Aber wir hören trotzdem gewissermassen dir zu und ich nehme an, du möchtest dich mit deiner Musik auszudrücken. Was willst du mit der neuen EP sagen und hören wir, wenn Vocals vorkommen, deine Texte?
Ich sag mal so: Songwriting mache ich nicht – das kann ich auch nicht. Gerade wenn ich mit englischen Künstlern zusammenarbeite. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ihnen bei Texten etwas zu sagen habe. Deshalb möchte ich sie auch nicht einschränken, mit einem Thema oder einer Stimmung. Ich möchte, dass die Zusammenarbeit so geschieht, dass man Ideen austauscht und einander inspiriert. Mit meiner Musik beabsichtige ich, in den Zuhörern eine Euphorie, oder andere Gefühle auszulösen, dass sie auf irgendeine Art und Weise berührt werden. «Sensu» soll dafür stehen, dass man sich nicht einfach zufrieden gibt mit dem Jetzt. Sondern sich aus der Komfortzone herauszubewegen getraut und nach Träumen greift. «Wiitermache, will es isch nie fertig.» Dafür möchte ich stehen und die Leute inspirieren, dasselbe zu tun.
Sensu ist also nicht nur ein Künstlername. Sensu wurde auch schon als Genre beschrieben. Darüber war ich ziemlich erleichtert, denn mir würde es schwer fallen, deine Musik einem Genre zuordnen zu müssen. Nirgends so richtig reinzupassen ist auch deine Absicht, oder?
Ja, genau. Ich glaube, meine Musik definiert sich immer mehr. Aber man kann sie nicht einem einzelnen Genre zuteilen – das stimmt schon. Mittlerweile sind alle Einflüsse vorhanden, die mich zum Produzieren inspirieren. Man hört immer noch den Hip-Hop heraus, von dort komme ich irgendwie her. Aber man hört auch immer mehr UK-Garage. Man hört Electronic – so viele Styles lassen sich heraushören. Das gefällt mir so.
Zum Titel deiner EP «Numéro LDN»: Der ist inspiriert von einem gleichnamigen Magazin?
Ja. Ich wollte mit meiner EP eine Geschichte schreiben aus den Inspirationen, die ich in London gesammelt habe. Es gibt diverse Ausgaben – Numéro Berlin, Numéro Paris und so weiter – von diesem Magazin. Es ist ein Fashion-, Lifestyle-, Kultur-und-was-nicht-Mag. Ich fand die Idee irgendwie schön, mein eigenes Magazin herauszubringen – in Form von Musik. Deswegen: Numéro LDN.
Kommen nach London vielleicht noch weitere Editions?
Ich weiss es nicht. Nein, eigentlich ist das nicht die Idee. Stell dir vor, ich würde eine EP herausbringen – Numéro Berlin zum Beispiel – , die es auch in Magazinform gibt und hätte grossen Erfolg damit. Ich glaube, das gäbe Probleme. Haha. Nein, ernsthaft. Der Punkt an London ist: Ich habe das Gefühl, das die Musik, die ich jetzt mache, in der Schweiz bloss einen Nieschenplatz bekommt. Kommerziell kann man damit hier fast gar keinen Erfolg haben. Die Zielgruppe ist viel zu klein. Der nächste Markt, in den ich eindringen kann, ist definitiv UK. Was natürlich schwierig ist – und trotzdem wollte ich es nicht unversucht lassen. Frankreich, Holland – deren elektronische Musikszene ist so viel grösser als die der Schweiz.
Ursprünglich dachte ich immer, ich muss es in der Schweiz zuerst noch weiterbringen, um im Ausland irgendetwas bewirken zu können. Aber jetzt bin ich freier, auch weil ich alles unabhängig herausbringe. Dadurch konnte ich mit Agenturen direkt in London zusammenarbeiten und wurde beispielsweise einige Male auf BBC Radio1 gespielt. Alle diese Sachen tun sehr gut. Dann weiss ich: Vielleicht bin ich doch auf dem richtigen Weg mit dem, was ich gerade tue, mit dem Versuch in diese Märkte einzudringen.
Wie muss man sich dich denn vorstellen in diesem Prozess von der Produktion deiner Songs? Alleine aufgewacht in London, Kaffee und Lifestylemagazin in der Hand?
Ich war mit meinem Freund in London, er macht nämlich auch Musik. Wir haben da beide so bisschen unser eigenes Ding gemacht. Oftmals bei uns in der abgefuckten Wohnung, die wir da gemietet haben, einfach gesoundet – richtig eingeengt. Aber eigentlich brauche ich auch nicht viel Platz. Ab und an habe ich aber auch Studios gemietet. In London gibt’s diese «Pirate Studios». Die sind ziemlich schäbig. Gibt’s auch in Berlin und in sonstigen Grossstädten. Da darf man dann einen Tag in diesen zugekifften, kleinen Studios reinhängen. Alles per Code zugänglich – bisschen wie Airbnbs ohne Host.
Aber es ist richtig nice. Es gibt Räume, um das Auflegen zu lernen, Platz für Bandproben oder Podcasts. Oder eben Räume für Producer. Es ist der Hammer! Wirklich! Zwischendurch waren wir da. Oder manchmal habe ich mir dann schon auch – zum Beispiel für die Aufnahme von Vocals – andere Studios gegönnt. Die sind dann bisschen teuer, aber manchmal lohnt es sich einfach. Besonders wegen der Connections. Da ist man dann plötzlich in einem Studio und erfährt, dass nebenan «Rolling in the Deep» von Adele entstanden ist. Deswegen: mal so, mal so.
Manchmal nur ein kleines Minipad und manchmal ein anständiges Studio, in dem Adele gesungen hat, nicht schlecht. Bei einem Auftritt wie heute, was brauchst du dafür mitzunehmen?
Heute bin ich ziemlich reduziert unterwegs. Als Produzentin muss man sich entscheiden: Entweder man bringt eine Band mit – volles Ding. Oder man taucht eher so clubmässig auf. Pablo Nouvelle beispielsweise macht das seit Jahren ziemlich professionell. Er hat eine Liveset-Version mit riesiger Band, Gesang und allem. Und dann eine andere, quasi Clubversion seiner Lieder. Je nachdem wo man dann spielt, passt das eine oder andere besser. Ich versuche generell eher in dieses Clubmässige reinzugehen. Deswegen trete ich reduziert auf, aber dafür mit Lichtshow. Vocals geben immer noch einen Livecharakter, aber die Musik wird tanzbarer.
Jetzt wo wir Adele erwähnt haben: Gibt es jemanden, mit dem du unglaublich gerne einmal zusammenabreiten würdest?
Oh ja, sehr viele. Es gibt natürlich Produzenten, mit denen ich gerne einmal etwas kreieren würde. Meine Idole: Mura Masa, Disclosure et cetera. Bezüglich Vocals: Ich bin derzeit grosser PinkPantheress-Fan, Rosalìa-Fan. Wenn ich mal mit solchen Leuten zusammenarbeiten könnte, dann gute Nacht. Wäre voll krass.
Noch hat sich das leider nicht ergeben und Musik ist nicht das einzige, was du tust: tagsüber bist du anderweitig beschäftigt. Das ergibt bestimmt mehr als eine 100%-Woche. Geht das gut oder würdest du gerne ganz auf die Musik setzen?
Genau, ich bin Projektleiterin in einer Werbeagentur, 80%. Das Ziel ist bestimmt, von der Musik zu leben. Aber wenn man gewisse Ansprüche an das Leben hat: Zweimal im Jahr Ferien, ein Auto, eine Wohnung , die so und so aussehen soll – wenn man diese Vorstellungen hat, ist es sehr schwierig, sie loszulassen, um vielleicht dem anderen – in diesem Falle der Musik – mehr zur Verfügung zu stellen. Mal sehen was passiert in nächster Zeit. Irgendwann muss man sich für das eine oder andere entscheiden.
Was ich will, ist klar: 100% von der Musik leben zu können. Das ist das Ziel – doch dafür muss ich aus der Schweiz raus, deswegen ist die EP entstanden. Meine Traumvorstellung ist folgendermassen: Ich muss einfach einen riesigen Hit machen, nicht wahr? Das müssen wir alle, wir Musiker, die von der Musik leben wollen. Und denne wetti ebe e Wohnig in Bade und e Wohnig in London. Dassi denn schön immer chan hi und her. Schön easy. Haha.