von Christian K.L. Fischer

Unter dem Namen Swiss Artists for Free Iran (SAFI) haben Künstler:innen vor kurzem das Lied „Frau, Leben, Freiheit“ veröffentlicht, für das sich zehn Schweizer Musiker:innen zusammengeschlossen haben, um ihre Solidarität mit den Menschen im Iran auszudrücken. Initiantin und Projektleiterin ist die Schweiz-Iranerin Shiva Arbabi. Sie hat den Protestsong «Baraye» des iranischen Musikers und Komponisten Shervin Hajipour ins Deutsche übersetzt und die SAFI zusammengebracht. So arbeiten Sina, Adrian Stern, Heidi Happy, To Athena, Janick Pfenninger (Tim Freitag), Silvan Kuntz (Panda Lux), Kate Stoykova (Wolfman), Esmeralda Galda, Lord Kesseli und Reponaut mit diesem Lied daran, dass der Widerstand gegen das Regime im Iran nicht vergessen wird im Chaos unserer Gegenwart.

Auslöser der Proteste war die Ermordung der 22-jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022. Sie wurde von der iranischen Sittenpolizei verhaftet, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig sass. Daraufhin wurde sie gefoltert und erlag später ihren Verletzungen. Seitdem wehren sich die Menschen: Es ist die weltweit erste feministische Revolution, eine Bewegung für Freiheit und Demokratie, für Menschen- und Frauenrechte. Wir sprachen mit Shiva über den Song, seine Entstehung und die Bedeutung.

Zunächst zu Dir. Kannst Du mir kurz erzählen, wer Du bist, was Du machst – und wie Du in die Position gekommen bist, ein solche Projekt zu initiieren?

Ich bin Iranerin und in der Schweiz aufgewachsen. Kenne aber meine Heimat nicht. Meine Eltern und ich haben gleich nach der Islamischen Revolution 1980 das Land verlassen und es aus Sicherheitsgründen nie mehr besucht. Seine Wurzeln nicht zu kennen, ist schmerzhaft. Und noch schmerzhafter ist es zu wissen, wie gross das Leid der Menschen seit 44 Jahren ist. Nach der Ausbildung begann meine Laufbahn als Journalistin und Radiomoderatorin. Seit 2010 betreibe ich mein eigenes Internetradio, piratenradio.ch. Durch mein Netzwerk in dieser Branche und meinen musikalischen Background habe ich letztes Jahr den Entschluss gefasst, den mit einem Grammy prämierten Song „Baraye“ von Shervin Hajipour auf Deutsch aufzunehmen.

Der Song ist ein Protestlied, dass aus Tweets gebaut wurde, die das Leid, die Wut und die Hoffnung jener Menschen ausdrücken, die vom iranischen Regime unterdrückt, gefoltert, terrorisiert und getötet werden. Wo entstand er, wie findet er Verbreitung – und wie hat das Regime reagiert? Wie die Menschen?

Als der Song auf Instagram viral ging und über 40 Millionen Mal aufgerufen wurde, haben iranische Sicherheitskräfte Shervin Hajipour zwei Tage später, am 29. September 2022, festgenommen. Er hatte im Gegensatz zu anderen Musikern und Künstlern sehr grosses Glück und wurde ein paar Tage später gegen Kaution freigelassen. Er musste sich von seinem Song distanzieren und es auf seinem Account löschen. Wie man auf dem Video sieht, hat er den Song zu Hause aufgenommen.

Wann hast Du Dich entschlossen, das Lied zu übersetzen? War es schwierig, einen solchen Text adäquat in eine andere Sprache zu transportieren – oder aufgrund der Direktheit womöglich sogar einfach?

Der Song wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt. Auch auf Deutsch. Für mich war es wichtig, dass sich auch die Schweiz solidarisch zeigt und auch eine Version macht. Deshalb habe ich mich schon im letzten Oktober entschieden, dieses Projekt in die Hand zu nehmen. Habe wochenlang daran gearbeitet, es immer wieder selbst eingesungen, um rauszuhören, wie es sich singt und reimt. Deutsche Lyrics finde ich anspruchsvoller als Englisch. Deutsch hat zu viele und harte Konsonanten. Und wenn man es dann noch übersetzen muss, wird es zur Herkulesarbeit. Es war sehr komplex.

Wie hast Du die vielen Künstler gefunden, um die übersetzte Version aufzunehmen? Wie habt ihr alle zusammengearbeitet? Bei all den Beteiligten muss es vor allem wohl eine Frage der Organisation gewesen sein.

Das war fast noch schwieriger als den Song zu übersetzen. Einige Schweizer Musiker:innen haben nie geantwortet. Und das nach mehrmaligen Nachfragen. Dadurch verzögerte sich alles massiv, da ich immer zuerst auf eine Antwort warten musste, bis ich eine neue Anfrage starten konnte. Umso dankbarer bin ich all den grossartigen und professionellen Musiker:innen, die jetzt dabei sind und möchte mich nochmals ganz herzlich bedanken bei Sina, Adrian Stern, Heidi Happy, To Athena, Tim Freitag, Wolfman, Esmeralda Galda, Lord Kesseli, Panda Lux und Reponaut. Jeder hat seine Strophe bzw. sein Instrument selber im Studio aufgenommen und unserem Produzenten Marc Flury in die Produktion geschickt. Er war übrigens die Schlüsselfigur und mein Held. Ohne ihn hätten wir diesen Song nicht realisieren können.

„Frau, Leben, Freiheit“ wurde erst vor Kurzem veröffentlicht, aber nimmt schon jetzt Fahrt auf. Wie sind die Reaktionen?

Sehr positiv. Wir haben ohne einen einzigen Medienbericht innerhalb der ersten Tage nach der Veröffentlichung auf Spotify das Prädikat „Beliebte Veröffentlichungen“ erhalten und mehrere Tausend Wiedergaben erzielt. Auch auf YouTube steigen die Aufrufe täglich und übertreffen meine Erwartungen.

Was wünscht Du Dir, dass das Lied erreichen soll? Was kann es erreichen?

Das Lied soll die Herzen der Menschen erreichen. Ich möchte mit Kunst etwas verändern. Es gibt viele bekannte Protestsongs von John Lennon, Bob Marley und vielen anderen mehr. Kunst mit einer Botschaft hat eine viel grössere Bedeutung. Missstände offen anprangern und Ungerechtigkeit mit Kunst bekämpfen ist die Macht, die jeder Kunstschaffende hat. Doch leider trauen sich nur ganz wenige, sich öffentlich zu äussern und ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Vielfach heisst es dann, dass es auf der Welt noch andere Probleme gibt oder man sich damit profilieren möchte. Dieser Whataboutism ist die billigste Ausrede, um nichts zu machen. Jeder entscheidet für sich, ob und für was er sich engagieren möchte.

Es klingt (leider), als könnte man ein solches Lied jeden Tag um neue Zeilen und Strophen erweitern, denn der Widerstand geht weiter, bis der Song nach und nach zu einem Epos wird …

Ja, das stimmt. Die landesweiten Streiks oder die regelmässigen Giftanschläge an Mädchenschulen … Tausende wurden seit November 2022 vergiftet. Das Regime leugnet, beteiligt zu sein. Aber es ist eindeutig, dass sie es sind, die sich an den jungen Frauen für ihren „Frau, Leben, Freiheit“-Kampf rächen wollen. Sie wollen sie einschüchtern und von Bildung fernhalten.

Wie ist Deine Einschätzung der aktuellen Situation im Iran?

Die Revolution hat eine neue Phase erreicht. Ziviler Ungehorsam steht jetzt im Vordergrund. Frauen, die ohne Kopftuch auf die Strasse gehen, tanzen oder Radfahren. Das ist alles verboten. Die Frauen in meiner Heimat leben seit Jahrzehnten wie Geiseln. Ich bin so stolz auf sie, wie sie wie Löwinnen kämpfen und von ihren Männern unterstützt werden. Viele solidarisieren sich und tragen Shorts, was auch verboten ist. Für eine Revolution reicht ein Funke. Dieser ist jetzt zu einem Flächenbrand übergegangen. Die Menschen haben genug. Es gibt kein zurück mehr, bis das islamische Regime gestürzt ist und für seine jahrzehntelangen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird.