Am 14. Oktober 2002 verliebte sich eine ganze Generation aufs Neue in die Rockmusik. Auslöser für jene wilde Affäre war der Release von «Up the Bracket», dem Debütalbum der Libertines. Dem so stürmischen wie windschiefen Indie Rock der vier Engländer wohnte eine Leidenschaft und Dringlichkeit inne, wie man sie schon lange nicht mehr gehört hatte. The Strokes hatten im Jahr zuvor das Genre zwar wieder cool gemacht, The Libertines brachten es aber zum brennen. Die von The-Clash-Sänger Mick Jones produzierten Songs rumpelten zum euphorischen Soundtrack der vielleicht letzten sorglos feiernden Jugend. In zu engen Jeans und Chelsea Boots stolperten wir Wodka-Flasche schwingend durch die nächtlichen Strassen direkt auf den Dancefloor. Ganz egal ob in Camden Town oder Köniz Dorf.

Mit ihrem Erfolg läuteten die Libertines eine weitere Ära britischer Gitarrenmusik ein. Acts wie Franz Ferdinand, Kaiser Chiefs und The Kooks wurden mit etwas glatt polierteren Versionen kurzzeitig zu Weltstars. Die Arctic Monkeys sind es noch immer. Und Bands wie Wanda übersetzten den Stil in ihre eigene Sprache. Doch ebenso prägend wie ihre scheppernden Hymnen und die Inszenierung als Bohemien des neuen Jahrtausends war für die Libertines immer auch das ganz grosse Drama. Die beiden Frontmänner und Songschreiber Carl Barât und Peter Doherty wurden als die Millenial-Version von Paul McCartney und John Lennon gefeiert. Doch ständig verzofften und versöhnten sich die beiden, hassten sich bis aufs Blut und schlossen sich bald darauf wieder ins Herz. Fans und Presse begafften mit aufrichtiger Sorge und perverser Faszination das Spektakel. Insbesondere Doherty sorgte mit Drogenexzessen, Beziehungsdramen und Knastgeschichten für Schlagzeilen in Klatschblättern, die sonst nie ein Wort über Musik verlieren.

Das zweite Album «The Libertines» im Jahr 2003 unterstrich das Genie der Band, schien aber auch ein Vorbote für deren Implosion zu sein. Carl Barât musizierte nun vorwiegend mit seiner Zweitband Dirty Pretty Things, Peter Doherty konzentrierte sich auf die Babyshambles. Auch Bassist John Hassall und Drummer Gary Powell fanden zwischenzeitlich andere kreative Outputs. 2010 folgte die triumphale Live-Reunion am Reading und Leeds Festival, fünf Jahre später das dritte Album «Anthems for Doomed Youth». Im Oktober 2022 erhielt die Band die Special Recognition Auszeichnung bei den AIM Independent Music Awards. Schon klar: die vier Herren sahen dabei unter ihren Hüten etwas älter aus. Aber auch: offenbar sehr glücklich. Insbesondere Peter Doherty hat auf der Schnellstrasse zur Selbstzerstörung gerade noch rechtzeitig die Ausfahrt gefunden und sieht nicht mehr aus wie ein Junkie, der bei Kerzenlicht französische Gedichte liest, sondern wie ein Fabrikarbeiter, der am Wochenende am Gartengrill steht und Scherze macht.

Zwar sind The Libertines auf dem Höhepunkt ihres Erfolges kurzzeitig implodiert. Jedoch nicht in ein schwarzes Loch verschwunden. Stattdessen können sie jetzt als Elder Statesmen of Brit Rock stolz auf ein spektakuläres Erbe zurückblicken. Die Romantik jener wilden Nächte zu Beginn des Jahrtausends wird in ihren Songs wieder lebendig. Und es ist absolut hinreissend, dass es nach all den Hochs und Tiefs noch immer die vier gleichen Männer sind, welche uns diese Lieder vorspielen können.

The Libertines kommen am 9. November ins Zürcher X-TRA. HIER gibt es Tickets.