von Christian K.L. Fischer

Anfang März, kurz bevor der Lockdown über Europa kam, sind Biffy Clyro aus Grossbritannien eingeflogen, um in Berlin ihr neues Album vorzustellen. Man hätte die Anspannung mit Händen greifen können, wenn irgendjemand sich noch getraut hätte, irgendetwas anzufassen. Doch die Stimmung wurde besser, denn der kleine akustische Gig war so grossartig, dass man sich fragte, warum Simon Neil und James und Ben Johnston sonst eigentlich immer so einen Lärm machen müssen – bis man dann die Albumversionen hörte. James lacht: «Ja, wir geniessen das akustische Zeug sehr und ich finde auch, dass wir echt gut darin sind. Aber nichts ist besser, als ein bisschen Lautstärke!» Sein Bruder Ben ergänzt: «Die meisten Songs beginnen ja nur mit Simon und seiner Gitarre, und erst im Studio wird das Lied zu dem, was ihr dann kennt. Einen Song also so zu spielen wie eben, führt ihn zurück zu seinen Anfängen.» Gibt es dann überhaupt eine definitive Version? «Gute Frage. Wenn man sich wirklich mit ihr auseinander setzen würde, würden wir nie ein Album rausbringen», lacht Ben. «Der Song ,Space‘ ist da ein interessanter Fall – wir haben lange gebraucht, um ihn zu finden, zu wissen, wie wir ihn präsentieren wollen. Er würde ja mit einer akustischen Gitarre schon funktionieren, ich wollte fast kein Schlagzeug dazu spielen! Aber dann dachten wir schon darüber nach, Streicher dazu zu legen.» Irgendwann geht einfach das Geld aus, wirft James ein, «dann muss eine Entscheidung gefällt werden. Lasst uns den Song einfach aufnehmen!»

Die charmantesten Rocker der Welt

Man muss sich bei ihren Antworten übrigens immer zwei handvoll Fluchwörter dazu denken, «Let‘s record the funkin‘ song» zum Beispiel – und das im schönsten schottischen Dialekt. Biffy Clyro sind nämlich weiterhin drei der charmantesten Rocker der Welt und auch im Angesicht der Pandemie und trotz ständigem Hände desinfizieren, lachen sie, als wäre das gerade jetzt die passende Antwort. Vielleicht endet die Welt, aber der Titel des neuen Albums klärt ja auch das: «A Celebration Of Endings».

Bereit für Risiken

Dabei geht es genauso um Neuanfänge: In den vier Jahren seit dem letzten Werk haben sie neue Erfahrungen mit einem Soundtrack und einem MTV Unplugged gemacht. James: «Vor allem mit dem Soundtrack haben wir uns frei gefühlt. Seitdem sind wir wieder bereit, Risiken einzugehen.» Wo «Ellipsis» von 2016 von Verlusten und einer Schreibblockade geprägt war, entstand «A Celebration Of Endings» in Freiheit. «Bei ,Ellipsis‘ haben wir angefangen, wieder die Kontrolle über unsere Leben zurück zu erlangen – bei diesem haben wir das vollendet und konnten deswegen die Zügel locker lassen, gerade bei Dingen, die wir sowieso nicht kontrollieren können.»

Hübsche Lieder, dunkle Texte

Was an einem Tag wie diesem in Berlin ganz nützlich ist. Und gerade wenn sich die Realität komplett unserem Einfluss entzieht, bietet ihre Musik kontra und sezierte die Welt. Denn gerade ein auf dem ersten Blick sonniger Song, haut einen mit seiner die Härte um, wenn man auf den Text achtet. «Ein paar unserer hübschesten Lieder haben die dunkelsten Texte», sinniert Ben. «Es geht bei einem um die junge Generation, die den Älteren vorwirft, dass sie ihnen nur einen Berg aus Trümmern hinterlässt. Und die Älteren haben Angst vor ihnen, denn sie wissen, sie haben es verbockt.» Biffy Clyro wollten bewusst kein zeitloses Album machen, sondern eines, das vom hier und jetzt handelt, auch musikalisch. «Es ist viel härter als ,Ellipsis‘ und sehr viel moderner», sagt James. «So viele Richtungen. Das ist es, was wir sind: sehr schwer festzumachen.»