von Nadine Wenzlick
Tom, auf deinem neuen Album «Monsters» setzt du dich mit den Panikattacken auseinander, unter denen du über viele Jahre gelitten hast. Warum hast du dich entschieden, dieses persönliche Thema öffentlich zu machen?
Das war keine bewusste Entscheidung. Ich kam vielmehr an einen Punkt, an dem meine psychischen Probleme schädlich für mein Leben und meine Karriere wurden. Ich konnte sie nicht länger ignorieren, sie überschatteten alles. Das ging so weit, dass ich mich fragte, ob ich meinen Job überhaupt noch machen kann. Doch dann fing ich an, darüber zu schreiben. Erst schrieb ich über meine Panikattacken, anschliessend begann ich über andere Themen zu schreiben, von denen ich früher immer dachte, sie seien tabu für mich. Die Tatsache, dass ich mich mit dem grössten Monster von allen beschäftigt hatte, erlaubte mir, mich den Dingen zu widmen, die in meinen Augen zu meinen Angstzuständen beigetragen haben.
Wann fingen deine Panikattacken an?
Ständig Angst zu haben, nicht schlafen zu können, sich nach gesellschaftlichen Treffen erschöpft zu fühlen – all das kenne ich, seit ich Teenager bin. Die richtigen Panikattacken fingen dann an, als ich 27 war. Ganz plötzlich und aus dem Nichts. Ich war gerade in München, um mein drittes Album «Jubilee Road» zu promoten und landete damals im Krankenhaus, weil ich dachte, dass ich einen Herzinfarkt hatte. Das war sehr angsteinflössend und ab da wurde es immer schlimmer, weil ich mich lange nicht damit auseinandergesetzt habe. Statt eine Pause zu machen, arbeitete ich weiter. Als ich dann anfing, «Monsters» zu schreiben, erreichte ich den Tiefpunkt. Aber: Mir geht es jetzt viel besser! Ich bin nicht traurig, dass ich das durchlebt habe, sondern fühle ich mich dadurch sehr ermutigt.
Was hat dir geholfen?
Ich habe meiner Freundin Georgie viel zu verdanken. Als wir uns trafen, hatten wir beide eine schwierige Zeit und halfen einander sehr. Endlich mal eine Pause einzulegen hat ebenfalls geholfen, ausserdem mache ich Yoga und Meditation. Und mehr Spaziergänge zu machen, einfach mal Ruhe einkehren zu lassen tat gut. Ich liebe es, in der Natur zu sein. Ich weiss noch, dass meine Eltern immer spazieren gingen, als ich Teenager war, und ich damals dachte: Warum gehen sie so viel spazieren und wo gehen sie hin (lacht)? Jetzt verstehe ich es!
Hast du sich je gefragt, woher deine psychischen Probleme überhaupt kamen?
Am Anfang schon, ja. Warum habe ich das und was ist das überhaupt? Aber dann erkannte ich, dass ich nicht alleine bin. Seit ich öffentlich darüber gesprochen habe, habe ich mich sowohl online als auch persönlich mit so vielen Menschen darüber unterhalten. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen, jung wie alt, damit zu kämpfen haben.
Hast du dafür eine Erklärung?
Ich glaube nicht, dass es unser Geist ist, der kaputt ist, sondern die Welt, in der wir leben. Natürlich gab es immer Ungleichheit, Korruption und eine Art Zerrissenheit – aber ich glaube es war nie so sichtbar wie heute. Uns werden so viele Informationen vorgesetzt und verkauft, die sozialen Medien und Medien schreien förmlich auf uns ein. Ich glaube die Welt hat sich noch nie so überwältigend angefühlt. Und psychische Krankheiten sind symptomatisch für eine kaputte Welt.
Ein Thema auf deinem Album ist toxische Männlichkeit…
Ich denke es ist offensichtlich, dass wir ein Männlichkeitsproblem haben. So viele unserer Probleme wurden durch Unreife von Männern und toxische Männlichkeit verursacht. Die Menschen sind zu Recht wütend darüber und wollen, dass die Männer Verantwortung dafür übernehmen. Dem stimme ich zu hundert Prozent zu. Was aber gleichzeitig passieren muss: Männer müssen lernen, über Ihre Gefühle zu sprechen. Jungs wachsen immer noch in einer Welt auf, in der sie glauben, sie müssten den Helden spielen. Dabei ist es so wichtig – ganz egal, welches Geschlecht man hat, welche sexuellen Vorlieben oder wie man sich nennen möchte – über Gefühle zu sprechen. Nur so besiegen wir die Stigmata in Bezug auf psychische Gesundheit und damit gleichzeitig viele Probleme toxischer Männlichkeit.
Ist dein Album so gesehen ein Aufruf zu mehr Offenheit und Empathie?
Mein Album hat keine Agenda, es ist eine Sammlung von Songs. Ich versuche selbst noch all das zu verstehen, meine Gefühle zu verstehen. Auf einem persönlichen Level habe ich aber definitiv viel gelernt, indem ich über meine psychischen Probleme gesprochen habe. Und ich würde sogar sagen, dass es mich in meiner Rolle als Musiker gestärkt hat.
«Monsters» klingt mutiger, deutlich elektronischer. Hast du dieses Mal alle Regeln über Bord geworfen?
Ja! Ich habe viel Frank Ocean, Drake, Billy Eilish, XXXTentacion und Vince Staples gehört. Wie diese gegenwärtigen Künstler Musik machen, ist von so viel Freiheit geprägt. Ihre Projekte sind sehr künstlerisch und frei, nicht zu durchdacht. Das hat mich inspiriert und wir haben versucht, diese Freiheit einzufangen. Insgesamt dauerte es fast ein Jahr, bis das Album fertig war. Einige Songs nahmen wir in den unterschiedlichsten Versionen auf. Ich habe wirklich nach etwas gesucht – und dabei so viel über Musik gelernt. Das ist jetzt mein viertes Album und manchmal wünschte ich, ich könnte mit dem Wissen, das ich heute habe, noch mal am ersten arbeiten!