Anfang Lockdown gründeten wir eine Euro-Dance-Band. Europa steckte in der Krise, da braucht es Euro-Dance aus der Schweiz, fanden DJ Netlog und ich. Und was hilft besser gegen den Ernst der Lage, als die Leichtigkeit von sauber produziertem Euro-Dance-Geballer. Schliesslich konnte ich mich als Künstlerin und Barkeeperin nur an ganz dünnen Ästen festhalten und meine Miete hätte ich zwischendurch kaum bezahlen können, wenn mir nicht hin und wieder ein Boomer-Boy in die DMs geslidet wäre und ganz diskret und trocken nach meiner Kontonummer gefragt hätte, um mir was ins Prekariat rüberzuschieben.

Die Situation ist 5 Monate später immer noch scheisse, aber langsam läuft die Sache wieder an und ich bin letzte Woche zum ersten Mal seit März wieder auf der Bühne gestanden. Es war eine ziemlich kleine Bühne in einem Zirkuszelt, das sich in der süddeutschen Kleinstadt Tuttlingen zwischen einen heruntergekommenen Wohnmobil-Stellplatz und die abgestandene Donau zwängte, gleich nebenan eine fahrbare Frittenbude. Veranstalter war ein alter, wütender Anarcho-Typ, den alle «Stiefel» nannten und der die Veranstaltung mit einer Kampfrede einleitete. Stiefel schimpfte zehn Minuten rhetorisch beeindruckend über Deutschland und so, und machte dann darauf aufmerksam, dass neben der Bühne ein überdimensional grosser Stiefel stand, welcher als Kollektentopf funktionierte.

Zwischen Frittenbude, Wohnwagen, Donau und Zirkuszelt schlich einer umher, der Dreiviertelhosen und einen Notizblock trug, sowie eine Kamera umgehängt hatte. Er war dünn, etwas bleich, von kaum einzuschätzendem Alter und wurde uns als Lokalreporter vorgestellt. Eigentlich sei er wegen einer grossen Story über den Wohnwagen-Stellplatz da, erklärte er und versicherte uns aber, dass er auch etwas über unser Konzert schreiben würde. Dann schlich er wieder zwischen Donau und Wohnwagen umher.

Unser Konzert in diesem Zirkuszelt kam gut an. Die Leute wippten auf ihren Stühlen begeistert mit den Füssen und einmal klatschten sie sogar mit. Der Reporter jedoch klinkte sich mitten im Konzert aus, setzte sich nebenan zu einer deutschen Kleinfamilie, die gerade ihr Nachtessen einnahm, an den Campingtisch und holte ein paar Statements von ihnen ab, die er in seinen Notizblock schrieb. Am nächsten Tag erschien in der Lokalzeitung ein kurzer, unmotivierter Artikel mit einem ziemlich verzerrten Bild von DJ Netlog und mir.

Mit der Krise hat sich zwar ein Gefühl der Belanglosigkeit über unsere kulturelle Arbeit gelegt, aber der Kulturjournalismus, die Albumproduktionen, die Sitzkonzerte, die Kolumnen: Sie sind halt doch für was gut. Zumindest Stiefel war am Ende des Abends ganz selig und versöhnlich gestimmt. Der Lokalreporter war wohl zufrieden, weil er an jenen Abend gleich zwei Texte schreiben konnte. Und ich schlief so gut wie schon lange nicht mehr, im Donautal zwischen Häkeldecken, Kruzifixen und angebissenen Bretzeln. Highlife.