Wenn Yungblud die vergangenen zwei Jahre Revue passieren lässt, fehlen ihm manchmal selbst die Worte. „Es ist verrückt“, stammelt der 23-jährige Brite, der im wahren Leben Dominic Harrison heisst. „Ich hatte den Traum, eine Community und eine Welt zu schaffen, in der wir zusammen existieren können. Und dann Bang! – passierte es einfach. Irgendwie haben wir bei den Leuten einen Nerv getroffen.“ Ob in seiner Heimat, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Deutschland oder der Schweiz, die Clubs wurden immer grösser und Yungblud zum Sprachrohr seiner Generation. All die Dinge, die er unterwegs erlebt hat, verarbeitet er nun auf seinem zweiten Album „Weird“ – eine Platte, mit der er die Andersartigkeit feiert.
„Mein erstes Album ‚21st Century Liability‘ war ein wütender Aufschrei, eine Explosion der Emotionen. Leicht naiv, widersprüchlich und manisch zugleich. ‚Weird‘ ist eine Art Fortführung. Es handelt von all den Leuten, die ich getroffen habe“, erklärt Yungblud, der sich seit langem für Minderheiten und die LGBTQ-Szene stark macht und daher eine höchst inklusive Fanbase hat. „In den letzten 18 Monaten bin ich Menschen jeder Grösse, Form, Hautfarbe, Sexualität und Gesinnung begegnet. Ich habe ihre Geschichten gehört und sie haben mich wachsen lassen. Die Texte meines Albums sind ihre Worte, ich habe sie bloss mit Musik unterlegt.“
Ein paar Beispiele gefällig? „Teresa“ handelt von einem Mädchen, deren Freund verstorben ist. „Mars“ derweil ist inspiriert von einer jungen Transfrau, die Yungblud nach einem Konzert in Maryland traf. „Ich kriege Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt er. „Sie hatte eine wirklich schwere Zeit, weil niemand in ihrem Umfeld verstanden hat, dass sie ein Mädchen ist. Ihr Wunsch war es, ihre Eltern zu meiner Show mitzubringen, damit sie sehen, dass es noch andere Kids wie sie gibt. Die Eltern kamen und hinterher akzeptierten sie ihre Tochter nicht nur so, wie sie ist, sondern halfen ihr auch bei der geschlechtlichen Transition.“ Neben Themen wie Trauer, Identität, Geschlecht und Sexualität geht es auf „Weird“ aber auch um Depressionen Selbstakzeptanz, Angst, Verlust, Drogen, Glück, Liebe und Herzschmerz. Dinge, die Yungblud natürlich auch am eigenen Leib erlebt hat. „Es ist ein Album über das Erwachsenwerden, aber nicht bloss für Teenager“, fasst er zusammen. „Man kann auch mit 75 erwachsen werden, weil man plötzlich erkennt, wer man ist und anfängt, sich in seiner Haut wohl zu fühlen.“
Vertont hat Yungblud all das mit einer Mischung aus Rap, Rock, Emo, Britpop und Dance-Punk, die dieses Mal allerdings noch ein bisschen farbenfroher, greller und im positiven Sinne eigenartiger ausfällt als auf seinem Debüt. Einen ersten Eindruck davon konnte man sich kürzlich auf seiner 16 Termine umfassenden, virtuellen Welttournee machen. Und auch sonst war Yungblud dieses Jahr höchst aktiv: Er hat die beiden YouTube-Serien „Stay Home With: Yungblud“ sowie „The Yungblud Show“, für die er mit Gästen wie Travis Barker und Machine Gun Kelly plauderte, ins Leben gerufen und einen zweiten Teil des Comics „The Twisted Tales of the Ritalin Club“ fertiggestellt. „Ich brauche dieses Output. Wenn ich aufhöre, sterbe ich“, sagt er. Und auch in Sachen Musik hat er noch einiges in der Hinterhand. „Ich werde weiter Songs veröffentlichen, nächstes Jahr soll es dann eine Deluxe-Version des Albums geben“, sagt er. „All die Geschichten auf zwölf zu reduzieren, war nämlich eine Qual. Also es geht weiter, das hier ist nur der Anfang!“
«Weird!» (Interscope/Universal) VÖ: 4.12., auf Soundcloud