von Katja Schwemmers
Das hat vor ihr noch keine deutsche Sängerin geschafft: Zoe Wees (20) trat als musikalischer Gast in den US-Talkshows von James Corden, Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon auf, wurde für ihre Single «Control» auch in Amerika mit Gold ausgezeichnet und vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf die Liste «30 Under 30» gesetzt, mit der jedes Jahr auf junge Hoffnungsträger:innen aufmerksam gemacht wird. Mit ihrer neuen Single «Lonely» begibt sich die Hamburgerin auf ihre erste (Club-)Tournee. Beim RCKSTR-Interview, das auf Englisch geführt wird, ist Wees bestens aufgelegt und erzählt, wo sie sich Zuhause fühlt, warum sie nicht zum Vorbild taugt, wie Rolando-Epilepsie ihre Kindheit ausbremste, und warum sie manchmal denkt, sie hätte den Erfolg nicht verdient.
Zoe, du sollst in deiner Heimatstadt Hamburg eine neue Wohnung bezogen haben. Wissen deine Nachbarn, dass sie einen international bekannten Popstar im Haus haben?
Zuerst wussten sie es nicht, aber jetzt kennen wir uns besser. Ich lebe mittlerweile schon ein Jahr dort. Wo genau, verrate ich besser nicht, aber die Wohnung liegt sehr zentral.
Musst du vorsichtiger sein als früher?
Definitiv. Das ist sehr neu für mich, aber es geht nicht anders. Ich muss meinen privaten Raum schützen. Ich will ja nicht ausziehen müssen, nur weil die Leute wissen, wo ich wohne. Einige haben es schon rausgekriegt. Es stehen öfter Menschen vor der Tür, wenn ich spät von einem TV-Dreh nach Hause komme, und sie bitten mich dann, ihnen etwas zu signieren.
Wie fühlt sich das an?
Ein bisschen unheimlich. Wenn du 20 bist, um 2 Uhr nachts nach Hause kommst und drei grosse Männer dich vor deiner Tür erwarten, ist das schon komisch. Aber ich komm damit klar. (lacht)
Du warst kurz vor Weihnachten in Amerika. Hast du dich auf dein Zuhause gefreut?
Zuhause sein ist ein Gefühl für mich, kein Ort. Wenn mein Freund und meine Mutter nicht in Hamburg wären, hätte ich mich nicht so gefreut. Denn wenn ich hier raus auf die Strasse gehe, ist alles so trist und zu wenig bunt für mich.
Nach deinem „Wetten, dass…?“-Auftritt wunderten sich einige, warum du dort Englisch gesprochen hast. Das ging sogar so weit, dass unterstellt wurde, du würden deine Herkunft verleugnen.
Warum? Ich bin Deutsche. Ich verletze niemanden, wenn ich Englisch spreche. Ich liebe es einfach. Ich brauche Deutsch nicht für meinen Job, es ist meistens Englisch. Ich fühle die Sprache auch mehr. Auf Deutsch muss ich länger nachdenken, wie ich etwas rüberbringe. Ich weiss gar nicht, warum es die Leute tangiert. Es ist mein Leben, meine Wahl – darüber sollte nicht geurteilt werden. Ausserdem ist es tatsächlich so, dass jedes Mal, wenn die Kamera angeht, mein Gehirn automatisch zu Englisch wechselt. Das ist meine Komfortzone, ich fühle mich damit sicher. Deshalb spreche ich die Sprache so gerne.
Stimmt es, dass du in Erwägung ziehst, Deutschland zu verlassen?
Ich dachte, ich würde irgendwann nach L.A. gehen. Doch als ich das erste Mal dort war, hat es nicht so wirklich Klick gemacht. Die Leute fahren überall mit dem Auto hin, sie gehen nie zu Fuss. Die Strassen sind also ziemlich menschenleer, man sieht nichts als Autos. Ich könnte mir vorstellen, dort für ein Jahr zu leben, um Songs zu schreiben und die Stadt besser kennenzulernen – aber ganz sicher nicht für den Rest meines Lebens. Ich war auch in New York, das gefiel mir besser. Dennoch wäre London derzeit meine erste Wahl. Ich kann gar nicht genau sagen, warum, aber ich bin immer noch Fan von London. Dort kennt mich noch kaum jemand.
Wirst du in Amerika oft über Deutschland ausgefragt?
Oh ja. Die lieben die Deutschen und die deutsche Kultur! Die meisten, die ich getroffen habe, waren schon hier und sind völlig begeistert. Und dann sagen sie: «Wenn wir rüberkommen, musst du uns die Hotspots zeigen.» Und ich antworte: «Die kenne ich selbst nicht – sorry.» (lacht)
Du hattest ein unglaubliches Jahr 2021. Worauf freust du dich 2022 am meisten?
Meine erste Clubtour! Ich hoffe, dass das grossartig wird und ich dort tolle Menschen sehe.
Bist du nervös deswegen?
Nein, ich bin nie nervös. Meistens bin ich aufgeregt, aber zeig es nicht. Ich bin immer mit dem Fluss. Und es ist doch so: Die Leute kommen zu meiner Show, weil sie meine Musik mögen. Ich werde mich also komplett Zuhause fühlen. Ich bin auf der Bühne, ich singe, ich werde an einem Ort sein, den ich liebe, und ich habe Leute um mich, die mich unterstützen und mich für das lieben, was ich bin. Anderenfalls würden sie wohl kaum ein Ticket kaufen.
Hast du bestimmte Ideen für die Umsetzung?
Mir haben ein paar Leute geschrieben: «Zoe, ich habe Epilepsie, ich kann nicht zu deinem Konzert kommen wegen des Flackerlichts.» Also schwebt mir vor, dass ich einen Extra-Platz für sie einrichte, von dem aus sie die Show trotz Epilepsie geniessen können. Ich werde meinen Arzt fragen, wie man das mit dem Licht am besten macht. Denn als Betroffene weiss ich, wie es sich anfühlt. Ich wollte mal zum Konzert von Jessie J, aber konnte nicht wegen des Lichts. Das war so enttäuschend für mich. Ich hoffe, wir kriegen es hin.
Was schreiben dir Fans sonst so?
Meistens erzählen sie, dass sie ihre Persönlichkeit nicht ausdrücken konnten und durch mich gelernt haben, wie es geht. Es freut mich immer, das zu hören, denn für mich ist es der Grund, warum ich Musik mache. Die Musik beginnt, wenn du anfängst darüber zu reden. Deswegen mein Tipp: Wenn du nicht die richtigen Worte finden kannst, schreib es für dich auf und mach einen Song draus. So gehe ich daran. Ich will dann, dass die Leute meinen Song hören und sagen: «So fühle ich in diesem Moment.» Ich will die Stimme dieser Menschen sein.
Hast du Erfahrungen mit Mobbing gemacht?
Ja, leider wurde ich da von nichts verschont. Aber das betrifft fast jeden, es ist geradezu normal heutzutage. Aber schauen Sie, hier sitze ich nun und bin stärker als je zuvor. Das ist wirklich schön. Menschen richten ständig über andere, sie werden dir immer sagen, wer du sein sollst, wie du auszusehen hast. Aber schaut her, wir sind stark!
Kann Erfolg heilen? Ist Erfolg vielleicht sogar die beste Rache?
Definitiv. Erfolg tut gut. Denn ich war schon immer anders, und man gab mir das Gefühl, dass es falsch ist, anders zu sein. Doch jetzt, wo ich erfolgreich bin, sehen sie mich mit anderen Augen. Das fühlt sich so gut an! Denn nun gucke ich ihnen ins Gesicht und sage: «Ihr wart diejenigen, die mir sagten, ich würde es zu nichts bringen. Und nun seid ihr es, die sich Gedanken machen müssen, was sie nach der Schulzeit anstellen wollen.»
Hattest du immer den Glauben an dich selbst?
Ohne Zweifel. In der Schule war ich unglaublich selbstbewusst. Ich wollte Rapperin werden und sagte allen: «Ich werde die grösste Rapperin des Planeten sein!» (lacht) Meine Texte und die Art, wie ich Songs schrieb, waren so trashig, mein Glaube war jedoch stark. Es ist komisch: Ich war die Schlechteste in der Schule, aber ich sagte immer: «Ich werde Sängerin. Ich werde erfolgreich mit meiner Musik.» Und jetzt kann ich sagen: «Schaut, was daraus geworden ist!»
Bei Jimmy Fallon’s «Tonight Show» hat seine legendäre Hausband The Roots deine Backingband gegeben. Wie war das?
The Roots waren das Highlight für mich! Das war so ein ikonischer Moment. Die müssen nicht mehr zu jedem Ja sagen, der mit ihnen spielen will. Aber sie befanden: «Ja, wir wollen das mit Zoe machen.» Es war einfach nur verrückt! Ich war im Backstage-Raum und einen Tag später war Ariane Grande dort und zwei Wochen vorher sass Billie Eilish im selben Stuhl wie ich. Diese ganzen coolen Künstler:innen! Und Jimmy Fallon, der so viel um die Ohren hat, kam vorher zu mir in die Garderobe, um «Hi» zu sagen. Wenn so beschäftigte Leute wie er sich die Zeit nehmen, um Menschen zu begrüssen, die sie nicht kennen, und sei es nur um dich zwei Minuten kennenzulernen, wertschätze ich das sehr.
War es denn so toll wie erwartet?
Oh ja. The Roots haben diese typischen Künstler-Mindsets. Sie reden einfach nicht viel. Genau genommen haben sie während der Probe überhaupt nicht mit mir gesprochen. (lacht) So bin ich aber auch, wenn ich mich auf die Musik konzentriere. Bei der Probe darf man noch Fehler machen, also fokussiere ich mich nur auf mich selbst, um zu sehen, was ich besser machen kann. Ich nehme es ihnen nicht krumm. Kurz bevor die Show dann losging, redeten The Roots dann mit mir. Ich könnte mir vorstellen, dass da vielleicht noch eine weitere Session mit ihnen folgt.
Kannst du dir gut deine eigenen Auftritte anschauen?
Das fällt mir nicht leicht, aber wenn meine Freunde einen Auftritt von mir sehen wollen, will ich nicht nein sagen. Für mich muss alles perfekt sein. Wenn ich mir selbst dabei zuschaue, wie ich einen Fehler auf der Bühne mache, drehe ich mich gedanklich im Kreis, weil ich es unbedingt noch einmal besser machen will. Aber das ist nicht die Art, wie ich künftig arbeiten will, denn so setze ich mich selbst unter Druck. Also versuche ich, mir meine Performances möglichst nicht anzuschauen.
Was sagt denn deine Familie? Die müssen sich die Auftritte doch unzählige Male angeguckt haben!
Meine Mutter ist so stolz auf mich! Als ich noch zur Schule ging, war ich die Schlechteste, aber meine Mutter hat nie gesagt, was Eltern normalerweise sagen: «Zoe, du musst besser in der Schule werden, so geht’s nicht weiter.» Sie sagte stattdessen: «Du wirst deinen Weg finden, Gott weiss, was er für dich geplant hat.» Meine Mutter hat mich immer unterstützt, also bin ich glücklich, dass ich ihr heute zeigen kann: «Mom, du hast mir meinen Raum zur Entfaltung gegeben. Du hast mich im Studio sein lassen, obwohl ich’s in der Schule komplett vermasselt habe, und du hast es mich für meinen Traum machen lassen. Danke, Mommy!»
Ohne deine Mutter wäre es also nicht gegangen.
Nein. Wenn sie darauf bestanden hätte, dass ich mich mehr auf die Schule konzentriere, wäre ich nicht in der Lage gewesen, all das zu tun. Zum ersten Mal war ich mit 13 oder 14 im Studio. Man kann nicht wirklich sagen, dass ich damals die Schule besuchte, es war ein grosser Kampf. Aber meine Mutter lies mich gewähren.
Das macht dich jetzt nicht zum idealen Vorbild für Schüler:innen.
(lacht) Vermutlich nicht! Man kann von gewissen Dingen dennoch Inspiration mitnehmen. Wenn ich Mutter wäre und mein Kind sich so verhielte, würde ich sagen: «Okay, vielleicht sollte ich meinem Kind ein bisschen mehr Raum geben an dem zu arbeiten, was sie wirklich will. Denn anderenfalls wird sie in einem langweiligen Job enden, den sie nicht machen möchte. Und das nur, weil ich darauf bestanden habe, dass sie zur Schule geht.» Wenn ich mal Kinder habe, möchte ich, dass sie frei sind. Wenn mein Kind Musiker:in oder Tänzer:in werden will, unterstütze ich es. Ich bin vermutlich nicht das perfekte Vorbild, aber ich denke, das ist der Weg deinen Kindern zu helfen, damit sich ihre Träume erfüllen.
Welche Erinnerungen hast du an deine Schulzeit?
Mitunter die Schlimmsten. Denn gleich zu Anfang hatte ich Epilepsie. Ich war anders, ich sah anders aus, meine Hautfarbe war anders, und ich war nicht die Schlankste. Ich mag es kaum aussprechen, aber ich ging im Pyjama in die Schule. Ständig. Denn die Schule fing um 8 Uhr an, und ich stand um 7.40 Uhr auf. Ich putzte also Zähne und ging vor die Tür, ohne überhaupt meine Haare zu kämmen oder frische Klamotten anzuziehen. Es war mir total egal. Denn ich stellte mir vor, Sängerin zu sein. Ich sagte immer: «Ich muss jetzt los, ich muss arbeiten, also habe ich keine Zeit, neue Klamotten anzuziehen, denn ich muss ja Songs schreiben und ins Studio gehen.» Ich gab immer vor, schwer beschäftigt zu sein, aber das war ich nicht. Wenn ich zurückblicke, muss ich drüber lachen.
Du singst nicht nur über Selbstliebe, sondern redest auch drüber. Auf deinem YouTube-Kanal hast du die Dokumentation «Learning To Love Myself» veröffentlicht und unterhältst dich auch regelmässig mit berühmten Menschen wie Jessie J. über das Thema.
Das ist für mich so wichtig! Ich habe bisher mit Jessie J, Tate McRae und 6LACK gesprochen, und es werden noch viele weitere Leute folgen. Jessie J war die Künstlerin, zu der ich aufschaute, als ich noch nicht selbst sang. «Mom, eines Tages will ich wie Jessie J sein», sagte ich damals. Ich sang später einen ihrer Songs bei «The Voice Kids». Die Songs, die sie rausbringt, sind so emotional. Sie berühren mich. Ich werde älter, mache nun selbst Musik und bin kein Fangirl mehr. Heute bin ich ich selbst, aber sie hat mich inspiriert dazu, ins Musikbusiness zu gehen. Und ich realisiere, dass es immer noch Menschen sind, die mich inspirieren, aber ich will nicht mehr wie sie sein.
Hast du etwas nachzuholen, wenn die Pandemie vorbei ist?
Wenn Covid vorbei ist, werde ich in jedem Club Party machen. Ich will feiern! Ich war nie ein Partygirl oder ein Club-Gängerin. Denn um dort Spass zu haben und die Nacht durchzurocken, muss man sich selbst sehr lieben. Aber da komme ich noch hin. Ich konnte nicht feiern, als ich Platinum-Status in der Schweiz erreicht habe oder Gold-Status in Amerika. Ich konnte das alles nie richtig mit meinem Team zelebrieren. Aber nach Covid ist es anders: Ich werde zum ersten Mal überhaupt Alkohol trinken und das alles nachholen.